Verregnet
„In 250 Meter links abbiegen!“, schallt es blechern aus der Richtung des Navigationsgerätes. Kaum hörbar wurde aus dem dritten Gang in den zweiten geschaltet, ein leises Surren war beim Einkuppeln zu vernehmen. Das monotone Klacken des Blinkers setzte ein, das Wischerblatt quietschte leise über die Scheibe, als der Scheibenwischer zum wiederholten Mal die feinen Tröpfchen des anhaltenden Regens entfernte. Es war ein weiterer Tag, an dem sich alles, was zurückgelassen worden war, weiter entfernte. Die Straßen waren verregnet, Nebel hing tief im Tal, umhüllte die fahrenden Autos. Wasser wirkte matt.
„Möchtest du Musik hören?“, wurde der Wegbegleiter kurzangebunden gefragt. Die Antwort ging in dem Klingeln eines Mobiltelefons unter. Als kurze Zeit später das Läuten abgewartet war, hatte sich ein hitziges Gespräch entwickelt. Die Wortabfolge war schnell, voller Emotionen und voll unausgesprochener Dinge. Verärgert wurde sich in Kleinigkeiten verrannt, jedes Detail auf die Waagschale gelegt und das große Ganze aus den Augen verloren. Geschehnisse, die als vergessen gegolten haben, wurden aufgegriffen und entfachten das Feuer der Diskussion immer weiter. Wieder meldete sich das in der Mittelkonsole verstaute Mobiltelefon mit dem durchdringenden Ton. Beachtung wurde ihm auch dieses Mal nicht geschenkt. Das Streitgespräch wurde lauter, intimer, tiefgründiger, persönlicher. Unmut wurde Luft gemacht.
Der Scheibenwischer quietschte, das Klacken des Blinkers war zu hören, das Surren des Einkuppelns, das Knirschen der Reifen auf nassem Schotter. Die Handbremse wurde ratschend angezogen, Türen wurden zugeschlagen. Frustriert wurde sich hingesetzt, einander der Rücken zugekehrt und schweigend auf den See gestarrt.
Nach einiger Zeit schabten die Schuhe unruhig über den Kies, einige Male wurde tief Luft geholt, als ob zu reden begonnen worden wäre, aber nichts gesagt worden war.
Was war das Etwas, was nun doch noch fehlte? Der Schritt über die Hemmschwelle hinaus, hinein in das Tiefe, Bodenlose. Sich von den eigenen Gedanken leiten, treiben lassen und darin versinken. Aussprechen, was ungesagt war. Mut haben.
Zu viel wollen, zu Großes vor Augen haben, zu weit denken. Übermütig sein. Schon Geschehenes vergessen, erste Schritte aufeinander zu machen, sich an Erlebtes erinnern. Gedanken teilen, um die Grundlage für eine Kommunikation zu schaffen. Beginnen.
„Hör mal, wir sollten miteinander reden. …. Es tut mir leid, wenn es dich verletzt hat, dass…“
Vogelgezwitscher wird hörbar, Nebel lichtet sich, Seewasser glitzert.
Es wird verziehen, zumindest vorerst.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX