Verschlungen von der Welt
Können wir noch weitermachen, wenn uns alles genommen wurde? Können wir noch weitermachen, wenn wir nichts anderes spüren als Leere? Kann ich noch weitermachen, wenn mir meine ganze Welt geraubt wurde?
Seit exakt fünf Jahren kreisen meine Gedanken nur um ihn. Seit exakt fünf Jahren wünsche ich mir ein Leben mit ihm. Doch diese Chance wurde mir vor vier Tagen, drei Stunden und 34 Minuten genommen. Ein einziger Moment, der alles verändert hat, der mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat und mich mutterseelenalleine in einem endlosen Strudel aus Schmerz zurückgelassen hat. Mir rinnen Tränen über die Wange. Ich will nicht mehr weinen und nach den letzten Tagen hätte ich nicht gedacht, dass ich noch dazu in der Lage sei. Mein Kopf fängt an zu pochen und ich presse meine Handfläche gegen die frische Narbe auf meiner Stirn. Das und ein paar blaue Flecken sind alles, was noch von diesem Moment übrig ist. Und die Erinnerungen. Die wundervollen Stunden davor, der Aufprall, die Stimmen, Schwärze, und unendliche Einsamkeit danach. Es gibt kein Jetzt mehr, kein Leben im Augenblick. Nur Davor und Danach. Alles andere ist nebensächlich und unbedeutend geworden. Ein Schluchzen dringt aus meiner Kehle. Wird es jemals wieder aufhören? Wird der Schmerz je wieder weggehen? Die Antwort ist ganz klar: Nein. Ich werde jede einzelne Sekunde, die noch kommt, seine Abwesenheit spüren. Ich werde nicht mehr ich sein. Nicht ohne ihn. Es klingt wie die totale Abhängigkeit, aber es ist die Wahrheit. Er war ein Teil von mir. Wieso wurde mir etwas, das zu mir gehört, gestohlen? Das ist so unfair! Ich presse die Augen zusammen. Dass die Welt nicht fair sei, wurde mir von Kindesbeinen eingetrichtert. Diese Tatsache damals hinzunehmen, war einfach, aber jetzt scheint es ein Ding der Unmöglichkeit. Ich kann mich nicht auf Rache konzentrieren, kann nicht nach Selbstjustiz sinnen, denn der einzige Mensch, der Schuld hat, ist tot. Es ist der einzige Mensch, auf den ich nie sauer sein konnte und auch nie können werde. Meine Kehle ist so eng, dass ich das Gefühl habe, keine Luft mehr zu bekommen. Der Kummer und die Taubheit aller anderen Gefühle drohen mich zu ersticken. Meine Atmung geht schnell und keuchend. Mein Herz rast. Mein T-Shirt ist nass vor Tränen, aber ich rolle mich zusammen und presse mein Gesicht noch tiefer in den Stoff. Die Welt hat ihn bereits verschlungen. Warum kommt sie nicht und nimmt mich auch mit?
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