Vielleicht sehen wir uns mal wieder
Man sollte meinen, der Kopf sei dem Menschen ein guter Begleiter.
Zielgerichtet, immer da, zuverlässig.
Er lenkt mich, immer weiter. Über eine lange, weite Straße. Er hat ein Ziel vor Augen. Ja, ein Ziel, ich kann es schon sehen, wenn ich mich konzentriere.
Es ist ein gutes Ziel. Es ist schön und strahlt hell. Ich freue mich, wenn ich es ansehe. Ich stelle mir vor wie es ist, wenn ich es endlich erreicht habe. Stelle mir vor wie ich dort stehe, selbst in warmes, goldenes Licht gehüllt. Nein, nicht eingehüllt. Ich bin das Licht. Ich gehöre dazu. Ich bin größer, wenn ich in dem Licht stehe. Die anderen sind klein, blicken zu mir auf. Sie sehen mich.
Ja, mein Kopf hat ein schönes Ziel. Ich folge ihm. Seine Anweisungen sind klar.
Ich selbst muss mich nicht konzentrieren, denn er lenkt mich. Verträumt lausche ich seinen Worten, meine Füße folgen. Folgen. Folgen.
Währenddessen blicke ich mich um, beobachte. Eine schöne, gerade Strecke. Gut befestigt. Ordnung.
Ich sehe andere, die ebenfalls laufen. Sie sind langsamer als ich.
Jemand ist vor mir. Ich habe ihn bald eingeholt. . . er biegt rechts ab. Ich laufe weiter. Nein, meine Füße laufen. Mein Blick steht. Unschlüssig. Dann folgt er dem Jemand. Nur ein kurzes Stück auf den anderen Weg.
Ich konzentriere mich, immer mehr, doch egal wie sehr ich mich bemühe, ich entdecke kein Ziel. Es muss weit weg sein. Oder gar nicht da. Mein Blick kehrt um, will zu meinem Kopf, der stur der Straße folgt. Er ist nicht weit weg, ich kann ihn einholen.
Während ich ihm folge, blicke ich mich um.
Der Weg auf dem ich laufe ist nicht gerade. Er ist staubig, uneben. Wild und ungeordnet sprießen Pflanzen hervor. Hunderte. Tausende. Millionen und noch mehr. Blumen, Bäume in allen Farben, so vielen Farben. Ich bin umringt. Reize dringen auf mich ein. Es ist laut. Musik, von allen Seiten. Stimmen. Sprachen. Ich blicke nach oben. Den Blick nach unten ertrage ich nicht. Zu schön. Sterne und Sonnen. Sie stehen nebeneinander, in sanftem Licht. Sie blenden nicht. Sie wärmen. Sie kühlen.
Unsicher gehe ich, kann nicht wegsehen.
Dann bin ich wieder an der Straße. An meiner Straße. Da vorne läuft mein Körper, folgt willenlos dem Kopf. Ich folge auch. Die plötzliche Stille schmerzt. Mir ist kalt. Und heiß. Mein Körper ist direkt vor mir. Beinahe höre ich wieder die Kommandos des Kopfes. Und auch das Ziel sehe ich. Und wieder erfüllt mich sein Anblick mit Freude.
Aber ich sehe auch den Weg. Den grauen, geraden Weg, ohne Kurve, ohne Knick.
Ich blicke zurück. Atme tief ein. Die Luft hat keinen Geruch. Sie schmeckt mir nicht.
Ratlos blicke ich zu meinem Kopf. Aber ich weiß. . . Ich kann ihn nicht überreden. Kann ihn nicht zwingen, den Weg zu verlassen. Ich kann dem Kopf die Vernunft nicht untersagen. Sie ist ein Teil von ihm. Aber ich nicht. Ich kehre um. Hals über Kopf.
Ich bin frei.
Es läuft sich leichter, so ohne Kopf.
Vielleicht sehen wir uns mal wieder.
Ich betrete den Weg. Ich schmecke die Musik, höre die Luft. Ich sehe. . . nichts und alles.
Und ich gehöre dazu.
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