Viskos
Draußen im tobenden Leben der Stadt fließen flüchtige Momente in raschen Rhythmen durch die Großstadt. Ein Taxameter erklimmt den Zahlenberg und rast von Minute zu Minute in die Höhe. Presslufthämmer bohren lauthals Melodien des Fortschritts, während Schritte, Schläge, Rufe, und Gelächter zu einem rauschenden Fluss zusammenschmelzen.
Fern vom urbanen Rennen, aber doch so nah, liegt sie dort. Dort, wo sie es erfahren hatte, als sie damals den Hörer abhob. Ihr nackter Oberschenkel mit der Polsterung zusammenwachsend, ihr Körper eine gelbliche Umrandung auf dem weißen Bezug hinterlassend. Auf dem Glastisch liegt eine weiße Take-out-Schachtel, in dem ölige Erdnussnudeln liegen. Der grün-graue Flaum eines hungrigen Schimmels verbreitet sich als einziges Zeichen des Lebens in flüssigem Schlängeln über die Reste. An ihrem Handgelenk eine Armbanduhr, deren verfärbtes Lederband an ihrer schweißgebadeten Haut klebt. Durch die großen Glasfenster sticht das beißende Tageslicht durch. Ein schwerer Dunst von Urin liegt in diesem stickigen Glashaus des kriechenden Elends. Und dann fängt es an zu fließen.
Auf der Straße sitzt ein gestolpertes Kleinkind, das über seinen verlorenen Schlecker heult. Ein Student saust auf einem rostigen Vintage-Rad vorbei, eine im Stau steckende Auto-Kolonne bricht in Hupen und Streit aus. Eine Joggerin läuft außer Atem die letzten Meter zu ihrer Haustür, ein Bankier eilt hastig über die Türschwelle. Ein Betrunkener lallt jungen Schülerinnen hinterher, im Hintergrund nimmt der Presslufthammer erneut seine Arbeit auf.
Sie fühlt das Fließen. Aus allen Ecken und Kanten quellt es empor – langsam, geplant, konsumierend. Eine zähflüssige Masse - schwarz wie die Nacht, das Tageslicht verschlingend - stößt auf den bunten Teppich und verschlingt ihn. Wie in Zeitlupe fangen die Fugen an zu bluten, sicherlich um sie zu holen. Sie hingegen liegt starr, durch die zähe Banalität des Alltags gefesselt, eine aufsteigende Wallung des Unbehagens in ihrer Brust. Mit Mühe wirft sie einen Blick auf ihre Armbanduhr, die Zeiger schlaff und machtlos. Der dröhnende Lärm dringt durch die Fenster, die Hektik der Stadt sich beschleunigend. Das Glas zersplittert.
Sie sammelt ihre Kräfte und richtet ihr Haupt auf. Schwach und zitternd erhebt sie sich. Der Schleim ihres Elends bedeckt nunmehr den gesamten Boden. Zehn Schritte braucht sie bis zum Fenster, doch jeder erweist sich zäher als der davor. Wie in dunklem Ahornsirup kleben ihre Füße fest, der Pegel nun an ihrem Knöchel angelangt. Sie sehnt sich nach dem Licht, schleichend erreicht sie das zersprungene Fenster. Sie lehnt sich hinaus und der laute Wirbel der Stadt schnalzt ihr ins Gesicht.
Ein dumpfer Knall folgt. Die Stadt kommt zum Halt. Schweigen, Stillstand, Stopp.
Wieder liegt sie dort. Nur diesmal im Roten, auf dem feuchten, kalten Beton - ein einziger schwarzer Tropfen auf ihrem Fuß.
Und der Lärm der Stadt beginnt erneut.
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