Vom Schreien und diesem Blau Blau Blau
Schreiben ist schreien im Stillen. Jedes Mal ein kleiner Stich, fast ein Ziehen, ein dünner langer Schrei durch schwarze Lippen. Er ist trocken, wie Papier streift er mich. Ich will mich nicht schneiden und tue es trotzdem. Es ist die Unbewusstheit, die so schmerzt.
Heute schreie ich für den Tod. Den lebenden Tod.
Momente schauen nicht zurück, sie drehen sich nicht um und setzen ihren Weg eisern fort. Sie lassen sich nicht fassen, sind wie der Rauch eines Feuers, das die Menschheit wärmt, und ziehen sich in schier endlosen Fäden in den schwarzen Himmel. Momente sind kostbar. So unendlich kostbar.
Ich sitze im Zug. Grau–schwarze Landschaften ziehen an mir vorbei. Es ist ein Regentag, Menschen bilden eine undurchdringliche Masse, drängen sich aneinander als müssten sie sich gegenseitig wärmen oder festhalten an etwas. An jemandem? Kinder drücken ihre Nasen an die Scheiben und versuchen konzentriert den Wassertropfen, die in einem steten Rhythmus ans Fenster klatschen, mit ihren Fingern zu folgen.
Wann legt sich dieser Wirbelsturm, der in den kleinen Wesen wütet? Der sie antreibt und gleichzeitig platzen lässt in ihrer Wissbegierde. Dieser Sturm, der alles umhaut und neu baut, der Altes ersetzt und Neues erschafft. Wo ist diese Grenze, die sich mir nicht erschließt, wann haben wir aufgehört den Regentropfen zu folgen? Wann endet das Kapitel, dieses eine von vielen, wann ist sie aus
die Kindheit
die Ignoranz
die Unwissenheit
Dort war einst die weite weite Welt mit vielen so komplizierten Dingen, die ich noch nicht verstand. Die Erwachsenen, die immer alles wussten und so geheimnisvoll groß waren, eine Welt voller Verständnis und Wissen. Heute bin ich irgendwo dazwischen, habe das Unwissen vergessen und muss akzeptieren, habe das Warum verlernt und nehme an, weil das das ist, was alle tun. Was alle müssen
Ein weiterer Teil wird zurückgelassen. Verlassen. So liegt er nun da, ein bisschen hilflos, ein bisschen ratlos, ein bisschen zu weit weg von mir, als gehöre er dazu.
Die Kinder sind mittlerweile ausgestiegen, die zähe Masse aus Menschen ebenso. Ich will es nicht und trotzdem verschwimmt meine Sicht, ich sehe nur ein tiefes blau, blau, blau. Ich tauche ein. Salz rollt meine linke Wange hinab, es wird von meiner Zunge abgefangen.
Ich fühle mich wie ein Phönix. Aus Asche und Dreck steigen immer die besten neuen Dinge hervor. Es ist das Leben, ein Kreislauf und so viel mehr. Ich selbst bin schon oft gestorben. Nicht immer habe ich es sofort bemerkt, manchmal wusste ich es schon davor.
Meine Stimme ist heißer, ich habe heute viel geschrien. Aber das war es wert. All diese Teile glimmen in der Asche weiter, bevor sie zu den anderen kommen, dorthin wo es nach altem Briefpapier und Neuschnee, nach Lebkuchenherzen, Maiglöckchen und lachenden Menschen riecht. Eines Tages werde auch ich dahin kommen, aber heute noch nicht, denn meine Abenteuer, die Menschen, das Lachen, das Leben, das Leben das Leben hat noch lange kein Ende …
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