Von der ersten Note bis zum großen Auftritt
Es war weder mein erstes Konzert noch mein erstes Mal allein im Rampenlicht zu stehen, und doch war ich nervöser denn je. Mein gesamter Körper zitterte, mein Herz pochte bis zum Hals und mein Kopf dröhnte von dem unerträglichen Lärm der Zuschauermenge. Ich fühlte mich leer, war aber kurz vor dem Explodieren. Langsam schloss ich die Augen. Ich musste mich jetzt konzentrieren, denn auf einen Nervenzusammenbruch konnte ich verzichten. Alle zählten auf mich. Alle glaubten an mich. Meine Familie, mein Verein, mein Lehrer, einfach alle. Alle außer ich. Wie angewurzelt stand ich da, konnte mich vor Angst kaum bewegen und mir fehlte jeder klitzekleine Funken an Selbstbewusstsein. Es war immer schon mein Traum gewesen eines Tages auf dieser Bühne zu stehen und alle mit meiner Musik in meinen Bann zu ziehen. Doch jetzt, kurz davor, war ich ein nervöses Wrack. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ich hatte nur noch wenige Sekunden, um mich zu sammeln und zu Ruhe zu kommen. Tief einatmen…
Noch fünf Sekunden. Mein erster Tag in der Musikschule. Beeindruckt wanderte ich durch das Gebäude und beststaunte die verschiedenen Instrumente. In „Klasse 9“ stellte mir ein großes Mädchen die Geige vor. Ihre kastanienbraunen Haare glichen dem lackierten Holz der Violine und ihre kleine Vorführung war mir bis heute in Erinnerung geblieben. Mit fliegenden Fingern, einem markanten Bogenstrich und vielen Emotionen erzählte sie durch ihre Musik eine Geschichte und in diesem Augenblick war es für mich klar: Die Geige war mein Instrument.
Noch vier Sekunden. Mein erster Versuch aus der Geige einen schönen, geraden Ton hervorzubringen war leider ohne Erfolg. Es war deprimierend, aber Aufgeben war keine Option.
Noch drei Sekunden. Herzpochen, Adrenalin, doch schließlich Applaus. Mein erster Vorspielabend war wie nach Plan verlaufen. Mir war das Stück fehlerfrei gelungen, sogar den vierten Finger auf der D- Saite hatte ich bravourös gemeistert. Trotzdem war ich nicht ansatzweise auf dem Level der großen Schüler mit ihren beindruckend schönen Instrumenten und Fähigkeiten diese zu bedienen.
Nur noch zwei. Vor Freude konnte ich mich kaum mehr halten. Ich durfte mich an einer der Violinsonaten von Mozart ausprobieren- mein erstes großes Stück. Mit feurigen Augen hielt ich die Noten in meinen Händen, jetzt war ich eine der Großen.
Die letzte Sekunde. Weiter, immer weiter. Ich übte, bis mein Kopf schmerzte und die Notenzeilen vor meinen Augen verschwammen. Ich hatte ein Ziel vor Augen und würde alles in meiner Macht Stehende tun, um dieses zu erreichen.
Jetzt. Der schwere Samtvorhang schob sich zur Seite und gab die Bühne frei. Die Luft war schwer und stickig, der Kieferholzboden knarzte unter jedem meiner Schritte und ich spürte die durchbohrenden Blicke des Publikums in meinem Nacken. In meinem Kopf war alles still, die Stimmen waren endlich verstummt. Es gab es nur die Musik, meine Geige und mich. Es war mein Moment, mein Augenblick.
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