Von Mutter zu Tochter
„Ich hab Hunger!“
Das waren die Worte, mit denen ich jeden Abend von meinem Mann begrüßt wurde, wenn er nach Hause kam. Kein „Wie war dein Tag, Schatz?“ oder „Wie geht´s dir?“.
Solche Worte kannte ich nur aus den Elternhäusern meiner Schulfreundinnen. Deren Väter hatten ihre Frauen respektiert. Sie geliebt.
Mein Vater hatte meine Mutter nicht geliebt. Sie nie angesprochen, ohne etwas von ihr zu verlangen. Deshalb kamen mir die Befehle meines Mannes so bekannt vor.
„Es hat kein Ende. Er wird immer etwas finden, was du falsch machst. Er wird deinen Schmerz nicht ernst nehmen. Du wirst immer nur die Hausfrau für ihn sein. Such dir einen Mann, der dich wie eine Prinzessin und nicht wie Dreck behandelt. Ich habe es nicht geschafft, deinen Vater zu verlassen. Aber du sollst glücklich werden. Mach es für mich und all die anderen Frauen auf dieser Welt“, das war das Letzte, was meine Mutter zu mir gesagt hat, bevor sie starb. Damals war ich 16 Jahre alt. Damals hatte ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich eines Tages einen Mann heiraten würde, der das Gegenteil von meinem Vater war.
Ich hatte versagt. Sie enttäuscht.
Ich war dumm und jung gewesen und hatte ihn geliebt. Gleich nach der Hochzeit benahm er sich wie ein anderer Mensch. Er tat nichts im Haushalt. Ihm war seine Arbeit wichtiger als ich. Seit der Geburt unseres Sohnes verlangte er von mir zu Hause zu bleiben und wehe, es stand kein Essen auf dem Tisch, wenn er nach Hause kam. „Du hast den ganzen Tag nix zu tun!“, schimpfte er, wenn ich nicht rechtzeitig mit dem Kochen fertig war. So auch heute Abend.
Meine Mutter hatte Recht gehabt. Es gab kein Ende. Ich würde nie gut genug für ihn sein.
Warum ließ ich mich so behandeln? Warum trennte ich mich nicht von ihm?
Ich hatte Angst. Angst vor ihm. Vor allem aber Angst davor, was mit meinem Sohn passieren würde. Aber sollte ich wirklich weiter in Angst leben?
Nein.
Tief in mir drinnen spürte ich einen Funken Kraft. Es war, als würde mir meine Mutter zuflüstern „Setz dem ein Ende!“
Meine Augen trafen seine und anstatt den Blick wie sonst zu senken, hielt ich dem seinen stand und sagte: „Nein“. „Ist das dein Ernst? Ich arbeite den ganzen Tag und dann wagst du es, nicht für mich zu kochen?“ Er wurde mit jedem Wort lauter.
Ich schaffte es, nicht zusammenzuzucken: „Ich schufte von morgens bis abends und sogar nachts, wenn du dich weigerst, nach unserem Sohn zu schauen, wenn er weint! Aber du merkst das nicht und erwartest immer mehr von mir. Das ist ermüdend! Ich darf nicht arbeiten gehen, weil von mir erwartet wird, eine gute Mutter zu sein. Warum bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich berufstätig bin, aber du ein hilfsbereiter Vater, wenn du einmal auf das Baby aufpasst? Aber du verstehst das nicht. Du brauchst mich nur dafür um dich bedienen zu lassen. Das ist keine Liebe!“
Er starrte mich so wütend an wie noch nie, doch bevor er reagieren konnte, sagte ich: „Ich lasse mich scheiden.“
(Doch ein) Ende.
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