Von Überfluss und Mangel – Zu viel und doch zu wenig
Für Paul
Ich kann nicht mehr. Darum schreibe ich dir. Ich weiß, du denkst, ich fühle wie du. Aber das ist nicht wahr. Für dich ist das alles nur ein lustiger Zeitvertreib. Ein Spaß, der Langeweile überbrückt. Für dich sind wir gute Freunde, Kumpels und das war’s. Für dich sind wir nicht schwul, es ist ja nur mal „Ausprobieren“. Doch mir bedeutet es etwas. Ich weiß, wir haben mal gesagt, dass Gefühle zwischen uns nichts zu suchen haben – immerhin sind wir Männer. Aber ich kann es nun mal nicht ändern. Ich weiß, ich habe dir gesagt, da wäre nichts. Macht doch Spaß und wir sind halt Freunde, warum sollte da auch mehr sein.
Das weiß ich auch nicht, aber für mich ist da eben mehr und das kann ich nicht ändern. Jede deiner Berührungen löst ein unglaubliches Wohlbefinden in mir aus. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als verschwitzt und nackt in deinen Armen zu liegen und darauf zu warten, dass du langsam einschläfst, um dich die ganze Nacht betrachten zu können. Um mir jedes Detail deines wunderschönen Körpers für immer zu merken. Und um mich meiner Trauer hinzugeben, weil es eine Ausnahme ist, dass wir überhaupt nebeneinander einschlafen. Weil ich jetzt schon weiß, dass du morgen mehrmals beteuern wirst, wie toll es doch ist, mit mir Sex haben zu können ohne Verpflichtungen einzugehen oder Angst haben zu müssen, der andere könnte Gefühle entwickeln. Damit wägst du dich in einer Sicherheit, die du gar nicht hast. Du denkst, ich wäre glücklich und du bist dir sicher, mich nicht zu verletzen. Vielleicht ist dir eigentlich auch bewusst, dass das nicht stimmt.
So oder so – du fühlst nicht wie ich und selbst wenn, dann würdest du es niemals zugeben. Was wäre wohl schlimmer? Letztendlich läuft es auf das Gleiche hinaus.
Ich habe alles Mögliche versucht, um meine Gefühle abzustellen, aber sie werden von Tag zu Tag nur noch stärker. Die Nähe zu dir hilft mir dabei auch nicht gerade. Dennoch brauche ich genau diese Nähe. Ich brauche dich! Ich kann mir nicht mehr vorstellen ohne dich zu leben, so kitschig das jetzt auch klingen mag. Nur so wie bisher kann ich erst recht nicht weiter machen. Denn das, was du mir gibst, ist nicht genug für mich. Egal ob du nicht mehr geben kannst oder nicht mehr geben willst – es ist nicht genug!
Ich habe unheimliche Angst davor, dich zu verlieren – und genau deshalb werde ich so weiter machen wie bisher. Ich werde mich mit jedem Tag, jedem Gedanken an dich und jeder deiner Berührungen ein Stückchen mehr kaputt machen, meinem Herz einen weiteren Stich versetzen. Denn ich bin süchtig nach dir, auch wenn die Dosis, die ich bekomme, schon lange nicht mehr ausreicht, um irgendetwas besser zu machen.
Deshalb wird mit diesem Brief das Gleiche geschehen wie mit denen zuvor: Er wird dich nie erreichen. Wahrscheinlich werde ich ihn verbrennen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalten kann. Eins ist sicher – das hier wird kein gutes Ende nehmen. Aber was im Leben tut das schon?
In Liebe, dein Moritz
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