Vorstellungen
Wir bauen uns eine Vorstellung auf. Die Vorstellung unseres Lebens, und wir helfen zusammen, damit wir unser Ziel erreichen können.
Zuerst müssen wir Geld verdienen. Ich arbeite in meinem Büro, du in deinem, und manchmal bilden wir uns ein, uns vom Balkon zuwinken zu können, obwohl wir in ganz anderen Stadtteilen arbeiten. Wir arbeiten Tag und Nacht, und das einzige, das uns verbindet, ist der Grund, warum wir arbeiten, unser gemeinsames Ziel. Während wir arbeiten, vergessen wir einander, und wenn wir abends nach Hause kommen, erinnern wir uns durch unser stilles Lächeln daran, dass wir uns nur auseinanderleben, um später umso mehr zusammen sein zu können.
Dann müssen wir einkaufen gehen. Jeder auf seine Art. Ich lege viel Gemüse in den Wagen, will einen fruchtbaren Nährboden für unsere Zukunft säen. Ich greife auch nach Vertrauen und Zeit, während du dich für Teigwaren und Erdäpfel entscheidest und meinst, wir sollten uns kräftigen, um für unser Leben gewappnet zu sein. Gemeinsam bezahlen wir an der Kasse, aber in unterschiedlichen Währungen.
Jetzt bauen wir uns ein Haus. Groß soll es werden, aufgebaut auf einem stabilen Fundament, das nie einstürzen kann. Du legst einen Ziegel über den anderen, während ich von einem Kaufhaus zum anderen fliege und allerlei Dinge für unser Heim besorge. Du kniest am Boden und legst die Fliesen, ich aber bin im Garten und pflanze Tulpen, träume von Wolkenschlössern und übersehe dabei, dass du uns ein kleines Schloss baust.
Als nächstes bekommen wir Kinder, und ich bin mit dem einen beschäftigt, du mit dem anderen, und wenn beide schlafen, lächeln wir uns müde zu, bevor wir selbst einschlafen. Wir spazieren nebeneinander durch den Park und fühlen uns dabei wie von einem Geist begleitet, der immer da ist, aber eben doch wirklich.
Du arbeitest nun mehr, damit ich öfters einkaufen gehen kann, und ich bewache unser stilles Glück für dich, während du Geschäfte abschließt, damit du immer einen Ort hast, an den du zurückkehren kannst, wenn es woanders zu windig wird. Bei uns ziehen nur kleine Stürme auf, große sind gar nicht möglich, denn wir leben zwar im selben Land, aber in anderen Welten und trachten beide nach Harmonie, verwechseln diese aber mit Gleichgültigkeit.
Und eines Tages stehen wir mitten in unserer Vorstellung und begreifen, dass wir selbst die Schauspieler sind und nicht die Zuschauer. Wir halten unsere Hände, ziehen unsere Kinder gross und sehen ein, dass wir all die Zeit für unsere Vorstellung gearbeitet haben und nicht bemerkten, dass unser Leben währenddessen an uns vorübergezogen ist.
Wir sehen uns an und wissen, dass wir uns nicht mehr brauchen.
Wir danken unseren Unterstützern
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