Wann endet das eigentlich alles?
Wann endet das eigentlich alles?
Beim Sport in Ausdauer fragen alle immer: „Kannst du noch ein wenig durchhalten?“
Zehn Meter weiter. Nur das Keuchen und Stampfen der Schüler ist zu hören.
„Und jetzt?“
Zwanzig Meter weiter.
„Immer noch?“
Irgendwann gibt der Erste auf – der Träumer. Ganz verschwitzt und mit nassen Haaren, lehnte er sich gegen die Turnhallenwand.
„Na, schon fertig, Lappen?“, rief einer der Jungen, die ihm vor die Füße spuckten. Der Sportlehrer stand am anderen Ende der Bahn – er würde nichts davon sehen. Genauso wie der Lehrer nicht gesehen hat, wie Lia geärgert wurde.
„Lasst ihn in Ruhe“, rief sie.
„Ei, ei, was sehe ich da…“
Sie sah bei Seite. Ihr konnte es doch egal sein.
Aber der Träumer würde nicht als Einziger draußen enden. Es ist wie eine hochansteckende Krankheit, ein weiterer gibt nach einer weiteren Runde auf, und nach und nach lichten sich die Reihen.
Genauso ist es auch im echten Leben, dachte sie sich. Alle rennen weiter…und nach und nach kann man nicht mehr. Der Weg ist so steinig und hügelig – so gefährlich.
Immerhin rennt man im Sportunterricht nicht bis zum Umkippen oder Sterben. Im echten Leben schon, es wird immer jemand vorne rennen, der immer alle fragt: „Könnt ihr noch?“ Irgendjemand wird immer da sein, um die Anderen aufzumuntern.
Manchmal ist man dann alleine. Ganz alleine, niemand würde einen aufmuntern, weiter zu rennen.
„Kannst du noch?“, fragt man sich schließlich.
Tempo finden oder anhalten, etwas anderes bleibt einem nicht übrig. Aber das ist in unserer Gesellschaft schwierig, alle müssen mithalten. Du musst mithalten, mit dem Wandel der Zeit. Unser Lebensstil wird einfach zu hektisch, um sich aus der Menge zu erheben und seinen Kopf zu heben.
Die Gesellschaft hat schon immer angegeben, wie lange man laufen muss, es wird sich nicht in dem Punkt ändern. Aber das schnelle Leben ist anstrengend. Es fordert viel ab, zum Beispiel den Träumer oder Lia, der immer der Letzte war.
All die zarten Menschen, die nicht für das Leben in solch einer Welt geschaffen waren. Solche Menschen, wie Lia.
All die Menschen, die keinen Sinn mehr sehen.
All die Menschen, die leiden.
Alle hören irgendwann auf. Menschen früher, rastlos bis in ihren Tod, manche ruhig, weil sie etwas zuvor geändert haben. Und manche bleiben für immer unbemerkt, wie die Sterne in den fernen Universen. Sie sind alle Sterne, dachte sie sich, sie bleichen aus. Die Menschen bewegen sich von einem weg und bleichen aus und sterben, genauso, wie die Sterne.
„Noch zehn Minuten!“, rief der Sportlehrer.
Sie sah auf zu dem blauen Himmel. Die Sterne. Sie wollte wieder die Sterne sehen.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie den Träumer. Es brannten ohnehin Menschen zu schnell aus…
Der Junge sah ihn mit schiefgelegenen Kopf an. Sie hatte zu viele Chancen nicht genutzt, er durfte nicht entgleiten. Auch Lia hätte sie retten können, aber sie hatte so viel nicht gemerkt. Lia hatte immer klar gemacht, wie schlecht es ihr ging – sie hätte…Er durfte nicht verschwinden, wie all die Sterne, wie Lia.
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