Warmes Licht und trügerische Sicherheit
Sanfte Musik im Hintergrund die ich nicht verstehe und nicht verstehen will.
Meine Mutter sitzt neben mir, wir beide neben ihm auf dem Krankenbett.
Die leise Jazzmusik, die aus ihrem Handy tönt, scheint sie beide hypnotisiert zu haben, denn es wurden seit Minuten keine Worte gesprochen. In Erinnerungen versunken, an denen ich nicht teilhabe, haben sie womöglich meine Anwesenheit vergessen.
Ich glaube ich sollte nicht hier sein. Der Moment scheint kein Ende zu nehmen.
Ich war 10 Jahre als ich das erste Mal nicht verstand was passiert.
Fremde Menschen, besorgte Stimmen und schwere Schuhe auf unserem Holzboden. Er, wie er aus dem Haus getragen wurde und ich, wie ich mich in der Küche versteckte. Meine Mutter, die sagte ich solle mir keine Sorgen machen und mit ihm im Krankenwagen wegfuhr.
Die Tür fiel ins Schloss und ich war allein.
Hallende Stille, das Echo ihrer Stimmen und das kaum spürbare Klopfen meines Herzens, das scheinbar synchron mit der Wohnzimmeruhr tickte. Ich frage mich, ob ich es da schon ahnte.
Besuche im Krankenhaus wie diese, wurden immer häufiger und wirken wie ein kleiner Ausschnitt zu der grauenerregenen Realität, vor der ich eigentlich noch bewahrt sein sollte.
Ich sollte noch verschont sein, wie war das fair?
Die pastellgelben Wände, die versuchen das Verderben dieses Ortes zu verscheuchen sehen dennoch grau aus. Desinfektionsmittel kann den Geruch nach Vergänglichkeit und , die hartnäckig in der Luft hängt kaum überdecken.
Mit dem Rücken zum Fenster versuche ich mir vorzustellen, wie wir wohl von außen aussehen müssten. Ich frage mich, ob der Tod uns bereits von außen beobachtet. Die Lampe auf dem Kasten neben mir taucht den Raum in ein sanftes, warmes Licht, das die herbstliche Melancholie fernhalten soll. Ich überlege, wann er ihn endlich erlösen würde.
Ich versuche mich auf die Musik zu konzentrieren, um meine Gedanken nicht schweifen zu lassen. Versuche mir nicht vorzustellen was unvermeidlich geschehen würde. Versuche zu vergessen, warum wir hier waren.
Versuche nicht an die grotesken Ähnlichkeiten die seine Leiche und er, mit geschlossenen Augen, durch die Melodie in Nostalgie versetzt, haben würden.
Versuche nicht an seinen Namen zu denken, der höhnisch auf den Granit seines Grabsteins prangen würde.
Ob er weiß, was auf ihn zukommen würde? Ich weiß schließlich auch was passiert. Ich frage mich, ob er bloß in den Bann der leisen Musik gezogen wurde, oder tatsächlich seine Hoffnung noch nicht verloren hatte.
In den nächsten Monaten würde all das geschehen. Seine Knochen würden allmählich immer mehr durch die graue Haut durchscheinen, und unsere spärlichen Gespräche würden letztendlich zu unbeantworteten Fragen vertrocknen.
Es würde keine letzten Worte zwischen meinem Vater und mir geben und ich würde froh darüber sein.
Doch im Moment war noch alles okay. Die sanfte Jazzmusik hatte noch nicht vor, der betäubenden Stille, die folgen würde, zu weichen.
Im Moment war noch kein Ende in Sicht. Nur warmes Licht und trügerische Sicherheit.
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