Warten
Arbeit. Das war der erste Begriff, an den er dachte, wenn er morgens schlaftrunken den lärmenden Wecker ausschaltete und wegen seiner Furcht, bei seinem Arbeitsplatz zu spät zu erscheinen, hektisch auffuhr. In seinem adrenalingeladenen Zustand begab er sich dann in sein Büro in dem lediglich, so erschien es ihm, nur langweilige Zahlen, Daten, Emails und andere ermüdende Dinge auf ihn warteten, die nur darauf warteten, von ihm analysiert und bearbeitet zu werden. Obgleich er jene Tätigkeiten hasste, diese ihm allzu gewohnte Routine aus Pflichten, und bloß darauf wartete seine langersehnte und verdiente Freizeit, für die er schon sein ganzes Leben lang arbeitete, verbringen zu können, kam er seiner Arbeit doch Tag für Tag nach. Er redete sich ein, bald sein Ziel erreicht zu haben. Und das immer und immer wieder.
Sein ganzes Leben schon war er ein überaus disziplinierter Mensch gewesen. In der Schule hatte er jedes Jahr aufs Neue die besten Benotungen erzielt, sowie auch in seinem Studium, dass er nicht wegen des Interesses wählte, sondern vielmehr, weil es ihm Erfolg versprach. Prestige, und somit hoffte er, seine Ziele schnellstmöglich erreichen zu könne. Den Wünschen seiner Lehrer, Eltern, ja der Erwartungshaltung der Gesellschaft gerecht zu werden. Als Schüler war er für seine exorbitante Arbeitshaltung gelobt worden, für schulische Erfolge. Doch für verbrachte Freizeit hatte er selten positive Rückmeldungen erhalten, im Gegenteil. Leistungen waren immer idealisiert worden. Er sah sich sein Leben lang nur als jemand, der seinen Anforderungen gerecht werden musste, ein respektierter Teil der Gesellschaft zu werden und nicht als Individuum mit eigenen Zielen. Spaß könne er später haben, die Lorbeeren seiner jahrelangen Disziplin ernten und in einer sorgenlosen Realität leben. Jene Arbeit war sein Leben lang omnipräsent und stellte nicht nur den Kern seines Daseins da, sie spiegelte gar sein gesamtes Leben wider.
Die Jahre vergingen, während er den Gedanken, seinen Beruf niederzulegen, oder die Zeit, die er arbeite zu verringern, weiterhin verschmähte.
Er habe später Zeit, Zeit sein Leben mit all jenen Dingen zu verbringen, auf die er hingearbeitet hatte. Er wusste selbst nicht, was jene Dinge waren, was sein eigentliches Ziel war. Seine Zukunft war stets ein undefiniertes Ziel gewesen, nie etwas wirklich Nahbares. Auch beruflich hatte er nie ein konkretes Ziel gehabt, nichts auf das er hinarbeitet.
Sein Leben lang sollte er nie die Stufe, die sein Ziel darstellte, erreichen. Er war zwar finanziell schon seit Jahrzehnten unabhängig, war jemand zu dem andere aufsahen und sich als Vorbild nahmen und jemand vor dem man aufgrund seiner Errungenschaften Respekt hatte, aber glücklich war er nie. Sein Leben war nur ein langer Weg; nie sollte er das Privileg genießen, zu einem Ziel zu gelangen. Sein Ehrgeiz, seine Disziplin, sein Hass gegen seine eigene Arbeit und das Warten auf jenes erwünschte Ergebnis, sollten nie ein Ende finde.
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