Warten
Düster. Kalt. Ich spüre nichts mehr. Nie mehr. Kein Funken Wärme mehr in mir, nichts Lebendiges. Dunkel. Alles ist dunkel. Sie haben ihn mir weggenommen. Sie haben mir alles genommen: meine Wärme, meine Seele, meinen Kopf. Das Warten. Das Warten auf den Tod ist alles, was mir noch bleibt. Sollte ich nicht Schmerz empfinden? Sollte ich nicht den tagelangen Hunger spüren? Es sind Zeichen. Zeichen für den Tod. Aber ist er nicht schon längst hier? Hat er uns nicht schon alle heimgesucht? Sie sind es. Sie sind der Tod. Sie, die mir meinen Kopf geraubt. Ach, du wundersame Welt. Du warst einst so schön mit deinen grünen Weiden, dem Lachen eines kleinen Kindes und den Vögeln, die den Himmel zierten. Und jetzt? Jetzt bist du nichts als ein verkümmerter Wurm. Leblos, schwach, tot. Ein Ringen um das letzte bisschen Luft.
Trage ich Kleidung, bin ich nackt so wie ich das einst so helle Licht der Welt erblickte? Ich sehe es nicht, spüre es erst recht nicht. Wahrscheinlich haben sie mir auch das genommen. Das Nacktsein. Die Haut ist ja doch nur gleichsam eine Hülle, die uns schützt. Aber mich schützt nichts mehr. Ich blute, überall. Auch in meinem Herzen. Vielleicht kommen sie nochmal und holen sich auch dies. Sie, die mir einst meinen Kopf abschlugen.
Ich bin allein, aber doch nicht allein. In diesem Verlies, da gibt es nur mich und den Tod. Aber dahinter, hinter meinen Gittern, da halten sie noch mehr gefangen. Ich weiß es, ich habe es gesehen als es noch möglich war. Kinder, nur Kinder. Einzig bestehend aus leblosen Häufchen Elend. Kopflos. Ich hätte es wissen sollen, wollte nichts mehr wahrhaben. Aber zu spät. Er wird nie wieder kommen, mein Kopf, und mit ihm mein Selbst.
Ein Geräusch. Ich höre etwas. Trotz fehlender Ohren. Ich kann es mir nicht erklären. So vieles nicht. Und trotzdem ist es da. Dieses Geräusch ist anders. Anders als alles, was ich damals je gehörte hatte. Selten, aber doch höre ich klanglose Stimmen, mehr ein Flüstern. Hinter den Wänden. Verzweifelt, aber beruhigend. Eine Seele, suchend nach ihrer Erlösung. Trotz allem Widerspruch wie eine Mutter, die ihr Kind tröstet. Wie oft habe ich mir gewünscht, es würde mich trösten, mir neue Kraft geben. Nein, nun bin ich ein Produkt. Eines der vielen, die bei ihnen im Regal stehen. Zu denen sie nur ihre schmutzigen, schmierigen Hände zu strecken brauchen, um sich das zu holen, was es noch zu holen gibt.
Ein Produkt, das einzig und allein dazu da ist, kaputtgemacht zu werden. Für sie bedeutet das Leben. Das Leben. Nichts als ein Traum, ein Gedanke, ein Wunsch. Sie haben unser Blut gekostet. Es war gut, so rein, das Blut eines Kindes. Jetzt ist es beschmutzt, nicht mehr da. Der Tod hat es mitgenommen.
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