Warte, was passiert gerade mit mir?
„Lucien, ich brauche die Aufstellung. Sofort!“ „Lucien, ist das Dokument schon fertig?“ „Lucien, der Kunde wartet.“ Lucien eilt gehetzt hin und her. Ich muss schneller sein. Ich muss Geld verdienen. Tempo. Hab keine Zeit für Vergnügungen. Muss die Prüfung machen. Muss mir ein Auto kaufen. Darf nicht meine Zeit vergeuden. Dieser Kurs ist wichtig. Ich muss diesen Termin wahrnehmen, vielleicht bekomme ich dann eine Beförderung. Tempo. Ich muss schneller werden. Noch mehr erreichen. Tempo. Hab keine Zeit für andere. Tempo. Brauch ein Haus mit Pool. Muss noch mehr schaffen. Tempo. Ich muss Abteilungsleiter werden. Tempo. Ich habe keine Zeit. Doch da, was war das? Lucien steht langsam auf und bemerkt einen Schmerz in seinem Rücken. „Ich bin doch nicht einmal komisch gelegen, wieso schmerzt mein Rücken, dann so stark? !“, denkt er sich und geht an einem Spiegel vorbei, dabei sieht er aus dem Augenwinkel eine alte Person. Lucien blinzelt ein paar Mal und geht zurück zum Spiegel, der einen alten Mann zeigt. „Was passiert gerade mit mir?“, fragt Lucien und greift sich ins Gesicht, um zu testen, ob es echt ist. „Du hast dein Leben gelebt“, ertönt eine Stimme aus dem Nichts. „Ich möchte dir noch einmal die wichtigsten Stationen deines Lebens zeigen.“
Der 5-jährige Lucien versucht Luna zu fangen. Die Haare des Mädchens wehen im Wind. Doch der Junge wird immer müder und will sich schon hinlegen. Schließlich erwischt er sie an einem Rockzipfel. Erschöpft lässt er sich ins Gras fallen. Luna legt sich neben ihn hin und beobachtet die Wolken, wie sie immer weiterziehen. „Wir sollten öfters fangen spielen!“, ruft Luna aus. Lucien legt sich hin und schließt die Augen. Dicke Bücher liegen vor ihm. Was war das? Luna sitzt neben ihm. Versunken in ein Buch. „Wir haben doch erst gestern im Sandkasten gespielt und jetzt habe ich diese dicken Bücher vor mir. Ich habe doch nur kurz geschlafen, etwa für eine Stunde“, murmelt Lucien und schaut sich um. Luna ist fast schon erwachsen, sie sieht hübsch aus, in ihren Jeans und dem schwarzen Pulli. Ihm fallen wieder die Augen zu. Als er sie wieder öffnet, sieht er, wie Luna in einen Zug steigt. Sie dreht sich noch einmal um. „Du bist nur am Arbeiten. Für mich hast du keine Zeit. Schade, es wäre schön mit dir gewesen.“
„Also liege ich gerade im Sterben?“ „Ja, du hast deine Zeit vergeudet mit materiellen Dingen. Du hast vergessen zu leben, zu fühlen, zu lieben. Du hattest die Chance auf ein glückliches Leben, doch nun bist du allein hier. Du hattest die Chance auf eine Familie, doch du nahmst dir nicht die Zeit dafür. Es musste ja alles schnell gehen.“ „Aber, …“ „Eile und Hast haben dein Leben bestimmt. Doch glücklich warst du nur in den Momenten der Ruhe mit Luna.“ „Ich vermisse sie noch immer!“ Mit einem Seufzer fällt er mit Getöse auf den Boden. Sein Herz schlägt nicht mehr. Nun hat er Zeit. Tempo ist nicht mehr wichtig.
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