Was wäre wenn. . .
„Hilfe!“, rief ich mit einem Lachen, als er mich hochhob und über seine Schulter warf. Er trug mich um die Ecke, etwas entfernt von den anderen. Sanft setzte er mich ab und zog mich in seine Arme. Ich liebte seine Umarmungen. Sie waren fest, als würde er mich nie loslassen wollen, aber dennoch zärtlich. Sie gaben mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich vertraute ihm. Wieso auch nicht? Ich meine, er war immerhin mein bester Freund…
Er riss mich aus meinen Gedanken, indem er meine Hand nahm und mich um eine weitere Ecke führte. Hier befand sich ein kleiner runder Gartentisch mit jeweils einem Stuhl links und rechts davon. Er ließ sich auf einem der Stühle nieder, und bevor ich mich auf den anderen setzten konnte, hörte ich meinen Namen. Er sah mich auffordernd an. „Komm her“, fügte er hinzu, mit den Handflächen auf seine Oberschenkel klopfend.
Nun saß ich also auf seinem Schoß. Doch ich dachte mir nichts weiter, das bin ich doch schon oft. Wir redeten mit unseren Freunden, die nachgekommen waren, bis diese nach Hause fuhren und wir alleine waren. Wir redeten eine Weile, dann gab er mir aus dem Nichts einen Kuss auf die Wange. Ich tat dasselbe, da wir das schon oft getan hatten, er hatte mich sogar schon auf den Mund geküsst. Nur ein kleiner Kuss, zweimal, wie im Kindergarten, es war nichts. Deshalb dachte ich mir auch nichts, als er mich mit seinen schönen grau-grünen Augen ansah und sein Gesicht sich dem meinen näherte. Ich schloss die Augen, doch niemals hätte ich mit einem echten Kuss gerechnet.
Bevor ich auf mein Moped steigen konnte, spürte ich einen festen und gleichzeitig zärtlichen Griff um mein Handgelenk, dann wurde ich zurückgezogen, was dazu führte, dass ich mich um 180 Grad drehte. Ich fiel in seine Arme und er drückte mir einen letzten Kuss auf meine Lippen. Eine Minute später fuhr ich auf der menschenleeren Straße nach Hause. Übermütig ließ ich einen Schrei los, nichtsahnend, was noch auf mich zukommen würde.
Denn nur zwei Tage später schien er mich vergessen zu haben. Ich war mit einigen Freunden bei meiner besten Freundin feiern. Doch mir war überhaupt nicht nach Feiern zumute. Es ist nicht gerade lustig, von seinem Bruder zu hören, dass man durch eine 13-Jährige ersetzt wurde. Alleine der Gedanke daran machte mich krank und ließ Unmut in mir aufsteigen. Mir fehlte die Motivation auch nur zu atmen, am liebsten wäre ich nach Hause gefahren und hätte mein Bett nie mehr verlassen. Doch ich fand nicht einmal die Energie, auf mein Moped zu steigen.
Doch was wäre passiert, hätte ich mich überwinden können, ihm zu sagen, er solle mich nicht ausnutzen? Was wäre wohl aus uns geworden, wenn ich mich getraut hätte, ihm zu gestehen, dass ich mehr als Freundschaft wollte? Was wäre gewesen, hätte ich Mut gehabt?
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