Weggewischt
Ein Mann, ganz in schwarz, nur seine Augen sind unverhüllt, steht an der Spitze eines gelben Krans-
Ein Affe steuert ein Golfcart-
„Mit diesem ultimativen Trick verbrennst du sofort mehr Fett und“-
Ein glatzköpfiger Mann zieht an einer Zigarre-
„Ich war einfach nicht bereit“: mit 16 Mutter, das schwere Schicksal-
Eine Frau mit wehenden Haaren balanciert an der Kante eines Hochhausdaches, ein Blick hinunter-
Elektronische Musik, vermummte Gestalten sprühen bunte Buchstaben an eine U-Bahn-
Der Bildschirm wird schwarz. Akku leer. All diese Eindrücken dröhnen in meinem Kopf weiter. Ich schaue noch immer in mein Handy. Aus der tiefen Schwärze des Bildschirms blickt zwischen den Schlieren, die meine Finger beim Wischen über die Oberfläche hinterlassen haben, ein bleiches Gesicht zurück, die Augen müde und leer. Ich kann es nicht wegwischen, es würde nur ein weiterer Abdruck auf dem Glas entstehen.
Dann stehe ich auf und suche in meinem Rucksack nach dem Ladekabel. Ich habe noch nichts ausgepackt, obwohl ich schon seit guten zwei Stunden in diesem Zimmer sitze. Eigentlich wollte ich hier bei meinem Großvater doch mal wieder auf dem Dachboden den Staub von technischen Geräten aus dem letzten Jahrtausend pusten oder alte Fotos anschauen, wie früher. Und jetzt ist es schon Abend. Unruhe steigt in mir auf. Als würden Tausende Ameisen vom Boden aus an mir hochkrabbeln und meine einzige Möglichkeit ihnen zu entkommen wäre ein Wasserbecken, in das ich einfach eintauchen könnte. Mittlerweile treibe ich so viel in diesem Becken herum, dass sich die Haut an meinen Fingern wellt. Nur manchmal strecke ich widerwillig den Kopf aus dem Wasser. Ich ziehe mein Ladekabel aus dem Rucksack. Als ich mein Handy eingesteckt habe, stehe ich auf und ziehe die schweren Vorhänge des einzigen Fensters im Raum auseinander. Irgendetwas bröselt dabei von oben hinunter auf die Fensterbank.
Die Straßenlaternen leuchten schon und schemenhaft erstrecken sich die Häuser. Dann entdecke ich alles überragend einen Baustellenkran. Ganz oben ein kleines rotes Licht. Mir fallen die Videos ein, die mir mein Algorithmus immer wieder vorschlägt: vermummte Gestalten, die Hochhäuser, Strommasten, Brücken und Kräne erklimmen. Wie eine Miniaturwelt mit winzigen Autos und zusammengeklebten Papphäusern muss einem von dort oben alles erscheinen und auch so unbedeutend.
Wenn alle schlafen aus dem Haus gehen. Im schwarzen Hoodie über die leeren Straßen, bis ganz nah an den Kran. Wachsame Blicke, ein Geräusch, Innehalten. Alles ruhig. Wie soll ich denn über den Zaun kommen? Und wenn mich doch jemand sehen würde?
Ich spüre die Ameisen wieder an mir hochkrabbeln und wieder blicken mich diese dunkel umrandeten Augen in der Scheibe an.
Mein Handy leuchtet auf.
Ein Mann, ganz in schwarz, nur seine Augen sind unverhüllt, steht an der Spitze eines gelben Krans-
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