Weinrot, blutrot
Ihre Bluse war weinrot an diesem Morgen, die Ärmel flatterten sanft im Wind.
Sie hatte heute bereits die Spiegel gemieden, sich selbst nicht in die Augen sehen können, aber heute hatte sie es aus dem Haus geschafft.
Fiona lief den Weg zur Brücke entlang, den sie so lange nicht mehr genommen hatte. Ihre Beine zitterten, ihre Nase war gerötet von der kühlen Luft. Sie wusste nicht wieso heute, wieso sie sich zu einer Entscheidung gezwungen hatte, einer Entscheidung, die sie jetzt an den Rand der Brücke führte und auf den reißenden Verkehr unter ihr blicken ließ. Hunderte kleiner Fahrzeuge, für die sie bedeutungslos war. Zu weit oben. Zu weit weg.
Fiona wollte springen. Und doch, als sie eine Hand nach dem Geländer ausstreckte, zögerte sie. Sie hatte Angst, und ihr Körper ließ es sie wissen. Das Blut rauschte in ihren Ohren und versuchte ihren Herzschlag zu übertönen, der sie betäubte und jedes andere Geräusch unwichtig erscheinen ließ.
Angst. Oder Panik? Das Gewissen, dass ihre Entscheidung endgültig sein würde? Was hielt sie zurück? Sie dachte an das Leben, das sie zurücklassen wollte. Die grauen, eintönigen Tage ohne ein warmes Wort. Die Sanftheit, die aus ihrem Alltag entschwunden und durch die harten Zweifel ersetzt worden war.
Und diese Leere, die kein Ende zu nehmen schien. Die alles verschlang, was sie hatte werden wollen. Die Leere, die sie hatte taub und bewegungslos werden lassen, bis sie nur noch den Rhythmus der Tage vernahm, der ihr zu verstehen gab, dass sie nicht still stand. Manchmal wollte sie still stehen, wollte glauben, dass alles für einen Moment inne hielt und auf sie wartete, damit sie aufholen und diese zarte Hoffnung kosten konnte, die alle anderen anzutreiben schien.
Es war die Leere, die sie bis jetzt eingesperrt und in Ketten gelegt hatte, bis sie es nicht mehr aushalten konnte.
Ihre Finger zitterten, als sie mit verzweifelter Kraft das Geländer umklammerte. Was hielt sie auf, was hielt sie zurück? Sie konnte diese letzte Barriere überwinden und ihre Bluse würde sich blutrot färben.
Weinrot.
Blutrot.
Tot.
Ihr Leben lang hatte sie für andere gelebt, die sie jetzt nicht mehr brauchten. Auf der Reise ihres Lebens hatte sie immer die Last von anderen getragen und sie zum Weiterlaufen ermutigt, bis sie sie überholt und aus den Augen verloren hatten. Jetzt war sie allein auf ihrem Pfad und fragte sich, ob hier ihr Ende war. Ob das ihr Ziel war, oder nur eine Weggabelung?
Fiona holte tief Luft und spürte, wie sich ihre Lunge mit Entschlossenheit füllte. Sie ließ das Geländer los und trat einen Schritt zurück.
Das hier war kein Ende, dass sie verdient hatte. Es war kein Ende, dass sie sich wünschte. Es war kein Ende.
Sie wollte leben, sie wollte lachen und weinen und Erinnerungen schöpfen, nur für sich selbst.
Sie wollte die Zeit zurück, die ihr gestohlen worden war.
Ihre Entscheidung führte sie weg von der Brücke und zurück auf den Pfad ihres Lebens, mit kleinen, aber entschlossenen Schritten.
Fiona wollte leben.
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