Weniger
Es hat sich viel verändert, in den letzten Monaten. Du musst wissen, dass ich mich viel verändert hab. Du hättest dich auch verändert, glaub ich. Das ist ja auch ganz normal, ein bisschen Veränderung. Und gesund. Doch die Dosis macht das Gift, und Veränderung kann giftig sein, wenn sie mit dir beim Untergehen um die Wette nach Luft ringt, dich an den Schultern packt und sich an dir gen die Oberfläche abstößt. Wenn das, was du warst, bevor sich die Veränderung personifiziert und verselbstständigt hat, so tief im Sand am Grunde des Selbstzweifels vergraben ist, dass bloß noch panische Luftbläschen zu sehen sind, dann ist die Veränderung zu weit gegangen, zu tief getaucht und zu hoch geschwommen. Dann merkst du’s. Dann ist’s zu spät.
Ich hab mit vielem abgeschlossen, in den letzten Monaten. Ja, ich fühle mich wie ein Schmetterling, der seinem Kokon entschlüpft ist. Nicht, weil ich besser geworden bin. Ich bin neu geworden. Das hab ich dem zu verdanken, was mir dich so brutal und absichtlich genommen hat. Zwar mag neu nicht gleich besser sein, aber neu bedeutet frisch und einen frischen Anfang hab ich gebraucht. Die Welt um mich herum ist nicht ausgerichtet auf Neuanfang, hab ich gemerkt. Jetzt bin ich schon länger neu, aber nicht mehr wirklich ganz frisch neu sondern fahl neu, alt neu. Ich bin in einer Weise neu, in der ich lieber alt wäre, denk ich manchmal. Stimmt aber nicht, denn alt war schlecht, weil du warst alt, und neu ist zwar nicht gut, aber besser. Und erträglich. Bis jetzt, jedenfalls.
Ich musste viel zurücklassen, in den letzten Monaten. Einen großen Teil meiner selbst – physisch und psychisch. Ich hab viel von dem verloren, was ich behalten wollte, und womit ich nicht gerechnet hatte. Ich hab eingetauscht, was ich nicht wertgeschätzt hatte. Ich hab viel von dem verloren, was ich behalten wollte. Ich kann nicht sagen, ob ich dich behalten wollte, oder hätte sollen. Ich hab viel verloren, um mehr und mehr und immer mehr zu verlieren und immer weniger ich selbst zu sein und immer weniger zu sein. Und ich hab’s genossen, bis ich es nicht mehr genießen konnte, weil es zu viel war, was mich zu zu wenig gemacht hatte. Du hättest die Bilder in meinem Kopf sehen sollen, als du sie noch einsehen konntest, weil sie noch deine waren. Und dann hättest du sie heute mit den leeren Rahmen an grauen Wänden in leeren Räumen vergleichen, und mit mir in Erinnerungen schwelgen können, die schmutzig waren, dreckig und befleckt und trotzdem besser, als alles, was den Raum heute so leer macht. Du solltest mich sehen und mit mir melancholisch diskutieren über damals und heute, Fülle und Leere, Freude zu Trübheit und gefühlvoller Irrelevanz zu tauber Gleichgültigkeit. Du und ich, gemeinsam sollten wir dasitzen und uns hassen und uns leidtun. Und uns beieinander entschuldigen.
Können wir noch?
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