Wenn der Wecker klingelt
Der Wecker klingelt, wie jeden Tag. Lisa hasst das Geräusch des Weckers, es weckt Frustration in ihr. Sie liegt da und zählt, zählt die Sekunden. Bei 100 hört sie auf und lauscht in die Stille des dämmernden Morgens. Noch ein Atemzug, noch ein Bruchteil einer Sekunde, dann steht sie auf. Sie zieht sich an und frühstückt, dann geht sie zum Bus. Jeden Tag derselbe monotone Rhythmus, der kein Ende zu finden scheint. Im Bus trifft sie ihren besten Freund Moritz. Auch er hasst das Geräusch des Weckers. Moritz ist nie gesprächig, doch heute beschwert er sich nicht einmal über das Klingeln des Weckers. Er wirkt noch müder und noch blasser als sonst. Doch Lisa sagt nichts, sie ist selber müde. Die Busfahrt zieht sich hin, die vorbeifliegende Landschaft ein Einheitsbrei aus Hügeln und Feldern. Lisa zählt mit. 18 Felder und 7 Hügel. Als sie aussteigen und sich verabschieden, schenkt Moritz ihr ein müdes Lächeln. Bis morgen ruft sie, doch er dreht sich wortlos um und geht.
Der Wecker klingelt, wie jeden Tag. Lisa hasst das Geräusch des Weckers, es weckt Frustration in ihr. Sie liegt da und zählt, zählt die Sekunden. Heute fällt ihr das Aufstehen schwerer als sonst. Sie zählt bis 200, bevor sie in die Stille des dämmernden Morgens lauscht. Doch heute ist es laut, ein Hund bellt. Noch ein Atemzug, noch ein Bruchteil einer Sekunde, dann steht sie auf. Sie zieht sich an, doch für Frühstück bleibt heute keine Zeit. Sie rennt zum Bus und freut sich auf Moritz. Doch als sie einsteigt ist sein Platz leer. Lisa stutzt. Sowas ist noch nie passiert, er hätte ihr sicher Bescheid gesagt. Mit einem komischen Gefühl im Bauch setzt sie sich. Die Busfahrt zieht sich hin, die vorbeifliegende Landschaft ein Einheitsbrei aus Hügeln und Feldern. Lisa zählt heute nicht mehr mit, zu erschöpft ist sie.
Der Wecker klingelt, wie jeden Tag. Lisa hasst eigentlich das Geräusch des Weckers, doch heute fühlt sie nichts. Sie liegt da und versucht zu zählen, die Sekunden zu zählen. Heute hat sie keine Kraft auszustehen. Sie versucht bis 100 zu zählen, doch ihr Kopf ist leer, wie mit Watte gefüllt. Sie lauscht in die Stille des dämmernden Morgens, doch heute ist es ohrenbetäubend laut, als würde sie neben einer Baustelle wohnen. Ein Atemzug, ein Bruchteil einer Sekunde vergeht, doch Lisa kann nicht aufstehen. Sie bleibt liegen und verpasst ihren Bus. Heute sind beide Plätze leer. Niemand beschwert sich über das Geräusch des Weckers, niemand zählt die Felder und Hügel und als der Bus stehenbleibt und alle aussteigen, verabschiedet sich keiner. Nicht einmal mit einem müden Lächeln.
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