Wenn die Welt stillsteht
Auf einmal bleibt die Welt stehen. Alles ist still, nichts bewegt sich. Ich drossle meine Schritte und spüre wie sich mein Herzschlag verlangsamt. Ich lasse meinen Blick über die Umgebung schweifen. Bäume stehen still, obwohl der Wind mich vorher noch hatte frieren lassen. Blätter in allen möglichen Farben, schweben schwerelos in der Luft. Was ist hier los? Verwirrt laufe ich weiter.
Mein Atem geht schneller, der Schweiß läuft mir den Rücken hinunter. Plötzlich erscheint weiter vorn auf dem Waldweg eine Frau. Ich bleibe vor ihr stehen. Auch sie bewegt sich nicht und wirkt, als wäre sie mitten in der Bewegung eingefroren. Sie hat die Augen geschlossen. Ihr Gesichtsausdruck wirkt entschlossen, aber ich kann die Traurigkeit in ihren Zügen erkennen. Ich würde sie gerne in den Arm nehmen. Würde sie es mitbekommen? Vielleicht. Wahrscheinlich aber nicht. Schweren Herzens lasse ich sie zurück.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Drei Menschen stehen vor mir in einer kleinen Gruppe zusammen. Die wutverzerrten Gesichter eines Mannes und einer Frau blicken sich an. Sein Finger zeigt anklagend auf sie, sie hat den Mund leicht geöffnet und die Arme ausgebreitet. Ein zweiter Mann hat sich zwischen die beiden gestellt. Meine Gedanken überschlagen sich und ich überlege wie ich ihnen helfen kann. Kann ich aber nicht! Fest stampfe ich auf den Boden. Warum sehe ich das alles, ohne irgendetwas tun zu können? Warum musste man überhaupt streiten? Das ergibt doch alles keinen Sinn! Schnaubend laufe ich weiter.
Erschrocken stolpere ich ein paar Schritte zurück. Auf der Parkbank sitzt jemand! Ich atme tief ein, gehe um die Bank herum und setze mich neben die Person. Es ist ein Mann, der einen kleinen Hund auf dem Schoß hält. Sein Gesicht ist im Fell des Tieres vergraben. Der Anblick macht mich traurig. Der Mann wirkt einsam und ich habe das Bedürfnis ihm eine Hand um die Schulter zu legen und ihm zu sagen, dass alles gut wird. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber irgendwann. Stattdessen sitze ich hier und hoffe, dass er es spüren würde. Kein einziges Geräusch dringt zu mir durch, bis auf meinen eigenen Atem. Kein Rascheln im Unterholz. Kein Vogelgezwitscher. Die Welt scheint nicht nur stillzustehen, sie ist still. Ich spüre wie sich mein Bauch hebt und senkt. Ich fühle mich alleine. An einem Ort, an dem die Zeit stillsteht. Ich will hier so schnell wie möglich weg! Ich richte mich wieder auf und fange an zu rennen. Immer weiter. Je mehr eingefrorene Personen an mir vorbeiziehen, desto schneller renne ich. Immer weiter und weiter.
Abrupt stoppe ich vor einer großen Lichtung. Eine Menschenmasse hat sich hier versammelt. Ich bahne mir meinen Weg zwischen den Körpern hindurch und bleibe neben einer Person inmitten eines Kreises stehen. Sie tanzen! Sie alle! Und sie lachen! Richtiges, ehrliches Lachen! Die Einsamkeit von vorhin verblasst. Ich kann nicht anders und lächele auch. Und plötzlich beginnt die Zeit wieder zu laufen.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX