Wenn ein Tag mehr als genug ist
Wie jeden Morgen zerstört nur das schrille Piepsen des Weckers die vollkommene Stille der Wohnung. Und wie jeden Morgen willst du die Quelle dieses Geräusches, das wie Dolche in deinen Schädel zu stechen scheint, gegen die Wand werfen. Doch wie jeden Morgen tust du es nicht, sondern betättigst stattdessen den Ausschaltknopf und rapelst dich nach wenigen Minuten auf, dein Körper träge, aber deine Gedanken schon rasend. Leere. Stille. Wie jeden Morgen regieren diese Zustände. Doch still würde es nicht bleiben, das weißt du.
Langsam stapfst du in die Küche, um dir Frühstück zu machen. Hunger hast du keinen.
Leer. Niemand würde es merken, wenn du nicht zur Schule gehen oder nicht einmal das Zimmer verlassen würdest. Das wusstest du, immerhin hattest du das schon einmal lange getan, bevor die Schule deine Eltern informiert hatte. Seitdem gingst du wieder hin. Es gab Schlimmeres als die Leere und die Stille, die dich gerade zu konsumieren schienen.
Genug! du schlägst mit der Hand so fest auf den Tisch, dass die Milch deines Müslis überschwappt. Du denkst nicht einmal daran, sie aufzuwischen, als du dir deinen Rucksack schnappst und die Wohnung verlässt.
Die Stille und Leere weicht dem Lärm und Gedränge des Busses und schließlich der der Schule. Nur um dich drängelt es sich nicht. Doch das ist dir egal. Du bist es gewöhnt, von den anderen Schülern nur seltsame Blicke zu erhalten, dass sie nicht mit dir reden. Früher störte dich das, aber nun willtst du sowieso nicht mit ihnen sprechen. Sie hätten es sowieso nicht verstanden.
Was nicht verstanden?
Ein Lehrer kommt, ein Lehrer geht. Ihr Gerede ist dir auch egal. Einer versucht, dich aus deinen Gedanken herauszureißen, mit seinem Gelaber über fehlende Mitarbeit und schechte Leistungen. Deine Gedanken schalten sofort auf Abwehr. Sieht er nicht, dass es dir egal ist?
Er wird lauter, lauter als deine Mitschüler.
Genug! du stehst auf und gehst einfach heim. Sein Lärmen ist nichts verglichen zu dem, was dich daheim erwartet. Doch wenigsten bemerken deine Eltern in ihrem alltäglichen Streit, der losgeht, sobald sie beide daheim sind, nicht, wie du in dein Zimmer schleichst. Du schaust auf deine zitternden Hände. Plötzlich verändern sie sich. Sie scheinen älter zu werden und auch du hast das Gefühl zu altern. Du siehst dich selbst, wie du die Schule abschließt, einen langweiligen Job annimmst, heiratest, Kinder bekommst und ihnen zuliebe die Ehe aufrecht erhälst. Du siehst dich selbst als Greis sterben und kurz darauf bist du auch schon vergessen.
So wird einem das Leben vorgepredigt, nur in helleren Farben. Doch ist dieses Leben wirklich genug?
Deine Hand hört auf zu zittern, als du dir die Frage selbst beantwortest.
Die Stille ist wieder da, oder bist du nur taub dem Lärm gegenüber, als du in deine Schublade greifst?
So viele Fragen schwirren in deinem Kopf, wie immer. Doch diesmal ist eine lauter, hebt sich eine ab. Du konzentrierst dich auf sie. Alles wird zu dieser einen Frage.
"Wieviele Tabletten sind wohl genug? "
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