Wenn Geduld aufgeht
Kaum habe ich angefangen, schaue ich schon wieder auf die Uhr. Wie spät ist es? Wie viel Zeit
ist vergangen, seit ich angefangen habe? Ach, eh erst zehn nach. Irgendwie fühlt es sich so
an, als wäre ich schon wieder eine halbe Ewigkeit dabei? Der Teig klebt. Wenn ich meine Finger
auseinander mache, erinnert mich das irgendwie an die Schwimmhäute eines Fisches. Doch
nur für einen kurzen Moment. Dann fällt er in sich zusammen und wird wieder zu einem
großen Ganzen – Tempo, Tempo! Nicht ablenken lassen! Wo bin ich schon wieder mit meinen
Gedanken? Sollte ich nicht die Zeit nutzen und wichtige Dinge erledigen? Mails checken oder die
Küche putzen? Irgendwas Produktives tun? Immerhin muss der Teig jetzt erstmal gehen. Eine
halbe Stunde. Mindestens. Wahrscheinlich sogar länger. Na toll. Aber wenn ich mich ablenken
lasse, verpasse ich vielleicht den Moment, an dem der Teig genau richtig ist. Den perfekten
Moment, wie man ihn so schön nennt. Verrückt, wie selbst beim Backen das Gefühl von Zeit
immer präsent ist – immer schneller, immer effizienter. Obwohl es als entspannend bezeichnet
wird, entkommt man selbst hier nicht der Realität. So wie bei allem im Leben geht es auch bei
dieser Tätigkeit um Geschwindigkeit. Oder etwa nicht? Hefe wächst, wie sie wächst, der Ofen
braucht seine Minuten, egal wie sehr ich dränge. Ich habe keinen Einfluss. Keine Kontrolle. Der
Teig hat sein eigenes Tempo und ich kann es nicht beeinflussen. Noch so oft kann ich auf die Uhr
sehen und doch werden sich die Zeiger nicht schneller bewegen. Vielleicht ist es genau das, was
ich akzeptierten muss. Doch warum fällt mir das so schwer? Warum muss bei mir immer alles
schneller gehen? Schneller, schneller und noch schneller. Mehr erledigen in weniger Zeit. Doch
dann kommt mir ein Gedanke: Ist das die eigentliche Lektion? Einfach loslassen? Loslassen von
meinem Drang alles zu kontrollieren, loslassen von der ständigen Jagd nach der Uhrzeit? Der
Teig zwingt mich, Geduld zu lernen. Er bestimmt sein eigenes Tempo und alles, was ich tun
kann, ist zuzusehen, zu warten und loszulassen. Vielleicht ist es gar nicht der Teig, der mich
unruhig macht, sondern nur mein Wusch, die Dinge zu beschleunigen, wo sie gar nicht
beschleunigt werden können. Der Teig ist fast wie ein kleiner Widerstand gegen unsere Welt, in
der immer alles sofort verfügbar sein muss. Er ist wie eine stille Rebellion. Eine Erinnerung
daran, dass nicht alles im Leben schneller gehen darf und manches seine Zeit braucht, bis es
fertig ist. Und dass dieses Reifen nicht weniger wichtig ist als das Endergebnis selbst. Diese
Erkenntnis zu akzeptieren, ist nicht leicht. Ich muss erstmal lernen, die vermeintlich verlorenen
Minuten nicht als verlorene Zeit zu betrachten, sondern als Geschenk. Zeit, in der ich nichts
leisten muss. Zeit, in der ich einfach nur existiere, ohne Ziel, ohne Plan. Der Teig arbeitet still und
unbemerkt und ich muss es ihm gleichtun. Nichts tun. Nur warten. Denn vielleicht ist wahres
Tempo nicht Schnelligkeit, sondern nur das richtige Maß an Geduld.
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