Wenn Liebe zur Gewohnheit wird
Das Fenster steht offen. Kühler Wind weht mir ins Gesicht. Der Mond hat längst die Sonne abgelöst und Sterne strahlen um die Wette, eine Sternschnuppe saust vorbei. „Wünsch dir was“, flüstert Aaron in die Stille.
Was soll ich mir wünschen? Ich habe ein großartiges Leben. Ich habe einen gut bezahlten Job, ich habe die besten Freunde, die man sich wünschen kann, ich habe genug Geld, um mir keine Sorgen um Morgen machen zu müssen. Ich habe einen Mann, den ich seit der Volkschule kenne und für den ich immer geschwärmt habe. Letztes Jahr ist mein jüngstes Kind von Salzburg nach Wien zum Studieren gezogen und ich steuere langsam, aber sicher auf die 50 zu. Was soll ich mir wünschen?
Steht es mir zu, mir etwas zu wünschen, wenn ich alles habe wovon viele ein Leben lang träumen. Steht es mir zu, mir etwas zu wünschen, wenn ein anderer einen freien Wunsch so viel nötiger hat als ich. Ich habe mir nie so ein Leben erträumt, dass ich jetzt führen kann. Ich habe es mir nie zu wünschen gewagt. Ich müsste glücklich sein, ich habe keinen Grund traurig zu sein.
Der Tee, den ich vor gut einer Stunde aufgesetzt habe, ist mittlerweile kalt und wärmt mich nicht mehr, wie er es zu Beginn getan hat. Aaron sieht mich abwartend an. Sein Gesicht wird von Sorgenfalten geziert, die er in seinem Alter noch nicht haben sollte. Seine Augen haben den warmen, braunen Glanz, in den ich mich vor Jahren verliebt habe, fast gänzlich verloren. Doch trotzdem lächelt er mich an. Mit seinen vollen Lippen, die ich früher geliebt habe zu betrachten, wenn er sprach, die ich früher geliebt habe zu küssen. Ich blicke wieder auf die kalte Tasse Tee in meiner Hand, die durch den Windzug noch schneller abkühlt. Mir wird kalt und Härchen für Härchen stellt sich auf meinem ganzen Körper auf. Eine Träne befreit sich aus meinem Augenwinkel und fließt langsam meine Wange hinab. Wir haben so viel erlebt. Wir haben uns auf dem Empire State Building verlobt, haben uns an der Küste von den Bahamas vermählt und haben zwei wundervolle, wunderschöne, Töchter großgezogen. Wir haben uns das erste Mal am Schulhof hinter dem Busch geküsst und uns nachts heimlich bei unseren Eltern rausgeschlichen, um zusammen die wildesten Nächte zu erleben. Wir haben alles für einander gemacht. Wir haben uns geliebt.
Eine Hand streicht mir sanft über die Wange. „Weine nicht meine Schöne“, flüstert er mir zu während er mich sorgenvoll mustert. Ich hebe meinen Blick und sehe ihm direkt in die Augen: „Können wir noch?“ „Wenn du es dir wünscht.“
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