Wer bin ich?
Ich, mein Körper. Ich mein Geist. Ich, all die vielen Stimmchen in meinem Kopf. Sind sie es, die mich ausmachen? Sind wir es, aus denen mein Ich besteht? Ich, wir, meine Gedanken, Gefühle, Gewohnheiten. Bin das ich? Sind wir ich? Da vibriert unser Handy und reißt uns, ich meine mich aus meinen Überlegungen. „Ah sie rufen an. Meine Mutter und ihre Stimmchen, die sie bestimmt wieder dazu bringen, mich zum Aufräumen zu verdonnern. Diesen Teil ihres Wirs kann ich nicht ausstehen.“, murmle ich, noch leicht von meinen Gedankengängen verwirrt, kurz bevor ich abhebe. Ohne Vorwarnung stürmt unser Hund mit der festen Absicht, ausgerechnet jetzt spazieren zu gehen, herein. In einer zirkusreifen Nummer schleudert er mir seine Leine entgegen, und so kommt es, dass ich das Gespräch vorzeitig beende. Nun sitzt er scheinheilig vor mir und verzieht sein Maul zu einem frechen Grinsen. „Also gut“, seufze ich und schnappe mir kurzerhand Handy, Hund und Hirschlederleine. Dann verlasse ich das Haus und überfliege im Gehen meine Benachrichtigungen. Nichts Wichtiges, nur das Übliche. Mein Instagram-Feed zeigt mir Menschen, die schöner, klüger oder talentierter wirken als ich, und daraufhin finde ich Werbung für allerlei Anti-Pickelcreme, Nussmischungen und Ratgeber in meinem Posteingang. Mein Hund mustert mich kritisch, dann schleift er mich weiter. Vorbei an Werbeplakaten, die Menschen abbilden, die attraktiver, intelligenter oder begabter wirken als ich. „Und du bist hübsch? !“, schreie ich die adrett lächelnde Frau, welche auf einem Plakat für Halbfett-Joghurt wirbt, an. „ Ja natürlich!“, lese ich im Schriftzug darunter. Bevor ich jedoch antworten kann, werde ich schon weiter zum Buchgeschäft an der Ecke gerissen. Ich betrachte die Auslage, während mein Hund sie bloß mit seinem Geschäft beglückt. Vermutlich besser so, denn mir springt sofort ein Buchtitel entgegen. Ich lese: „Natürlich schön!“ Und in der Beschreibung steht: „Brille? Lange Nase? So wirst du schön! In nur 10 Schritten zum Top Model! Nur 5 davon beinhalten Schönheitsoperationen!“ Ich schnaube verächtlich, und mein Blick bleibt an meinem Spiegelbild hängen. „Ich bin schön!“, rufe ich und wende mich verärgert ab. „Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Definiere ich mich selbst als schön, kann niemand etwas dagegen ausrichten. Er kann bloß anderer Meinung sein“, zische ich meinen verwundert schauenden Hund an. „Ich bin eben eine anders definierte Schönheit!“, rufe ich im Weitergehen und stolpere über meine eigenen Füße. Am Boden angekommen wird mir ein verschmierter Zettel ins Gesicht geweht und ich fange an, die darauf geschriebenen Zeilen zu überfliegen. Nach ein paar Minuten höre ich jedoch abrupt auf. „Können wir noch?“, murmle ich entrückt. „Gute Frage“, flüstern meine Stimmchen zurück.
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