Wien, die Stadt ihrer Träume
„Wien, die Stadt ihrer Träume“ stand auf dem verrostetem Schild in abgeblätterten Buchstaben an dem Chanel vorbei ging. Es war schon eine Ewigkeit her, seitdem dieser Spruch der Wahrheit entsprach. Chanel wollte heute seit langem einmal wieder in die Innenstadt, um einzukaufen. Sie entdeckte noch weitere Schilder nur, dass diese nicht mehr so verbeult und alt waren, sondern immer neuer aussahen. Als das Mädchen dann an den Vororten vorbei war, sah sie nur noch Hologramme, die ihr Werbung zeigten. Chanel lebte im Jahr 2126. Geboren wurde sie gleich nachdem Wien das erste Mal mit Kernfusion als Stromversorgung ausgestattet wurde. Damals hatten die Menschen den Erfinder dieser Entdeckung gefeiert. Heute war alles anders.
Chanel ging weiter die Straße entlang, bis sie endlich die große Schleuse sah. Die Schleuse wurde 2121 erbaut, gleich nach dem dramatischen Unfall, bei dem 1000de Menschen ihr Zuhause verloren hatten. Nach diesem „Kleinem Malheur“, wie es die Regierung nannte, hatte eine Explosion von einem Fusionsreaktor ein riesiges Erdbeben in Wien ausgelöst und es waren alle Außenbezirke und einige Vororte von Wien mehr oder weniger zerstört worden.
Chanel dachte an dieses drastische Geschehen zurück. Als das Erdbeben stattfand, waren auch sie, ihre Eltern und ihre Schwester nicht verschont geblieben. Nun lebten 1, 9 Millionen Menschen von 2 Millionen in Schutt und Asche in miesen Unterkünften ohne Strom. Hinter den riesigen Mauern um die Innenstadt lebte das restliche eine Prozent der Wiener. Um hinter diese Mauern zu gelangen, brauchte man einen bestimmten Ausweis. Das eine Prozent lebte ungeheuer luxuriös. Im Durchschnitt verdiente ein Innenstädter (so nannten die Außenstädter sie) meist über 90. 000 Euro im Jahr. Wenn Chanel nachrechnete, kam ein Innenstädter somit auf ein Budget von über 1. 500 Euro pro Woche. Sie ließ sich von den Wachmännern in eine Kabine führen, in der sie mit einer Ganzkörperkamera identifiziert wurde. Jede Familie hatte das Recht jedes Monat einmal in die Innenstadt zu gehen und sich mit Lebensmitteln zu versorgen.
Kurz darauf wurde sie in die prunkvolle Stadt geführt. Man konnte diese fast gar nicht mehr Stadt nennen, so perfekt sah es aus. Der Marmorgehsteig glänzte in Weiß unter ihren Füßen, während sie staunend die Straße hinauf ging. Für Chanel war dieser Teil der Stadt nicht neu, trotzdem wurde ihr wie bei jedem Besuch von der Schönheit dieses Anblickes der Atem geraubt. Chanel betrachtete die Geschäfte, welche alle kostbare Objekte in ihrer Auslage stehen hatten. Ihr war klar, dass sie sich so etwas niemals leisten könnte. Also drehte sie sich um und schritt schnurstracks mit hoch erhobenen Kinn weiter.
Den ganzen Weg ließ sie der Gedanke, so eine Kostbarkeit zu besitzen, nicht los. „Wie wäre es, wenn sie so reich und prunkvoll leben würde wie die Innenstädter?“, Chanel schüttelte den Kopf, um wieder in die Realität zurück zu kommen. Trotzdem fragte sie sich auf dem Weg nach Hause: Was wäre, wenn?
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