Wie schnell willst du noch sein?
Du willst immer schneller, immer mehr. Du möchtest nicht mehr warten, du brauchst Beschäftigung. Du hältst keine Sekunde ohne Ablenkung mehr aus. „Wartezeit beträgt nur noch 5 Minuten“, sagt der Arzt und doch greifst du wieder zum Handy. Du hältst es nicht aus, die Stille, die Leere, du redest nicht mit deinem Partner, der neben dir steht, nein lieber schreibst du ihm. Du schaust dich nicht um, entdeckst nicht die Sonne, die durch das Fenster auf dich scheint, du siehst die alte Frau nicht, die Zeitung liest, und du bemerkst auch nicht, dass soeben ein Sitzplatz freigeworden ist.
Nein, das merkst du nicht. Du rennst für deinen Bus, damit du 5 Minuten früher daheim bist, statt zu gehen. Du beeilst dich, willst immer mehr, immer schneller. Morgens wachst du auf und wünschst dir den Abend her, wenn du endlich wieder im Bett liegen kannst. Jeden Tag wünschst du dir Freitag her, damit du endlich „entspannen“ kannst, aber du tust es nicht. Du starrst aufs Handy und spielst am Computer, wunderst dich: „Hoppla! Schon wieder ein Tag um“, du denkst nur an den Urlaub, zählst die Tage, bis du endlich frei hast und denkst nicht mehr an die schönen Momente, die du täglich erlebst. An die alten Menschen, denen du begegnest und die ihr eigenes Tempo leben.
Nein, du wartest immer auf morgen, auf das Wochenende, auf den Urlaub. Dein ganzes Leben lang rennst du nur dahin, zum Job, zum einkaufen und schlafen. Schluckst schnell ein paar Happen von dem Fertiggericht, bevor du dich wieder schlafen legst. Dein ganzer Tag, durchgetaktet, die To-Do Liste ewig lang, du selber kommst kaum zur Ruhe. Der Stress frisst dich auf und kurz bevor du endlich dein Ziel erreichst, brichst du zusammen. Der Arzt gibt dir 3 Monate und du denkst, was hab ich nur falsch gemacht?
Und du denkst zurück, kannst dich aber nicht erinnern, wo du warst und was du gemacht hast, du hast dein Leben vorbeiziehen lassen, aber war es das wert? Du denkst an deine verstorbene Oma, an deine Eltern, an deine Geschwister, die du alle schon ewig nicht mehr gesehen hast. Und du denkst dir, scheiße, habe ich mein Leben überhaupt gelebt? Immer online, abgelenkt, gar nicht richtig da. Wo warst du?
Du warst nicht anwesend, nicht im Leben und hast dich einfach ignoriert. Wie willst du das verkraften, wenn das Leben aus ist und du plötzlich denkst, was habe ich getan? Warum hast du den Kaffee nicht mal langsam getrunken, statt zu hetzen und dich zu verbrennen? Warum bist du nie mit deinen Freunden shoppen gegangen, jetzt sind sie krank und können das nicht mehr, warum warst du nicht mit deiner Mutter auf einem Konzert, es war ihr Traum? Warum warst du nicht da, als deine Schwester heiratete und dich als Trauzeugen wollte, warum hast du immer auf das Wochenende gewartet, obwohl du jeden Tag etwas Schönes hättest machen können?
Du wolltest immer schneller, schneller, schneller.
Aber jetzt ist es zu spät und du wünschst dir, du wärst langsamer gewesen.
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