Wie wertvoll die Zeit doch ist
Ich fuhr, wie jeden Freitag, die kurvige Straße runter in die Stadt entlang. Es war ein warmer, frühherbstlicher Abend, der warme Nieselregen tropfte mir auf den Helm.
Ich bog gerade um eine weitere Kurve und plötzlich, urplötzlich, sah ich Scheinwerfer, die mir entgegenkamen. Die Zeit schien still zu stehen. Man sagt, kurz bevor man stirbt, sieht man sein ganzes Leben an sich vorbeiziehen. Ich war anscheinend nicht kurz genug davor, denn ich nahm nur wahr, dass mir meine Umgebung auf einmal viel schärfer erschien als zuvor. Ich roch den Petrichor, die Abgase, das Plastik meines Helmes und das Leder meiner Montur. Ich sah die Lichter der Stadt, das Steppengras am Straßenrand, die Heuschrecken und Mäuse darin… Und dann… sah ich nur noch die Motorhaube des Autos, das mir entgegenkam. Das hektische Hupen des Autofahrers nahm eine Zeitlang mein vollständiges Gehör in Beschlag, aber kurz bevor wir kollidierten, hörte ich… die Welt. Den Lärm der Stadt, das Zirpen der Grillen, das Quietschen der Reifen. Alles wurde dunkel.
Es piepste. Meine Umgebung war verschwommen. Jedes einzelne Geräusch erschien mir zuerst so unerträglich laut. Doch, als sich meine Sicht klärte, verschwand auch der Lärm. Fluoreszierendes Licht blendete mich kurzzeitig. Von überallher strahlte es reinweiß. Ich lag in einem Krankenhaus, um mich herum stand meine Familie. Als ich alle so um mich herumstehen sah, verschwamm meine Sicht wieder, doch diesmal lag es nicht am grellen Licht. Mir traten Tränen in die Augen. Drei Tage war ich weg. Drei lange Tage. In zwei Wochen hatte mein kleiner Cousin Geburtstag. Ich fragte mich, ob ich dort schon dabei sein konnte. Keine einzelne Person konnte mir sagen, wie lange ich im Krankenhaus bleiben sollte.
Es war eine lange Zeit. Ich sah den Herbst kommen und gehen, wie die Blätter braun wurden, abfielen und vom Wind verweht wurden. Dann kam der Winter. Und mit ihm der erste Schnee. Mein Zustand besserte sich, meine Stimmung hingegen schlug exakt die gegenteilige Richtung ein. Sie besserte sich nicht einmal, als ich entlassen wurde. Zuerst wollten meine Eltern eine Party geben. Es sollte eine kleine Feier, im engsten Kreis der Familie werden. Aber ich hatte schlicht und ergreifend keine Lust darauf. Mir war natürlich bewusst, dass sich in einer solch langen Zeitspanne viel verändert haben wird. Doch das wahre Ausmaß wurde mir erst bewusst, als ich zurück in die Schule kam. Es gab mehrere neue Schüler, manche waren gegangen, weil sie die Schule gewechselt hatten. Viele hatten auf einmal andere optische Merkmale, wie das halt in der Pubertät so ist oder ließen sich auf einmal einen Bart stehen. Und trotzdem, als ich mich wieder zu meinen Freunden gesellte und mich mit ihnen unterhielt, war es, als ob wir erst gestern geredet hätten. Von diesem Tag an ging es mir wieder besser. Ich unterhielt mich öfter mit anderen und fing sogar wieder mit Sport an.
Und da erkannte ich, wie wertvoll die Zeit doch ist, die man mit seinen Liebsten verbringt.
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