Wiener Wegblick
Wir verlassen den U-Bahn Waggon am Bahnsteig der U1 an der Station des Westbahnhofs, meine Oma und meinen Opa habe ich im Schlepptau, eher führe ich sie durch Wien, als sie mich, aber dagegen kann ich nichts tun. Als der Wind durch die unterirdische Station meine Haare und auch meine offene Weste einen leichten Stoß versetzt, weiß ich, dass ich noch am Leben bin. Manchmal vergess ich das. In meine Nase steigt der Geruch von Schienen, Staub und scheiß Leuten, wozu ich meine Großeltern manchmal auch dazuzähle, nur heute sind sie ein intaktes Instrument, da sie mich zu einem Lichtblick führen, einer Person, der ich wirklich und wahrhaftig seit wahrscheinlich langer Zeit vertraue. Eventuell sogar am längsten. Sie kenne ich schon seit den Anfängen meines Lebens, als ich noch ein kleiner Junge mit wenigen, fast keinen Sorgen war. Diese Frau sehe ich leider lange Perioden meines Lebens nur digital, über WhatsApp, Videotelefonate oder auf Instagram Storys, die mir nichts sagen, da sie über 450 Kilometer weit weg von mir wohnt. In einer kleinen Ortschaft, wo ich meistens entspanne. Als ich mich durch die Menschenmenge dränge, versuche ich nicht darauf zu achten, wen ich anschaue, oder wer mich anschaut, das mache ich sonst immer. Obwohl Oma nicht ganz bei sich ist, trottet sie hinter mir her, mindestens einen halben Meter kleiner als ich versucht sie den Alltag alarmierend zu bewältigen. Die Alkoholsucht ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten immer schlimmer geworden, keiner sagt was, keiner macht etwas dagegen, keiner nimmt sie mit zu einer Sprechstunde mit analysierenden Ärzten, die ihr mitteilen könnten, dass sie so in wenigen Jahren jämmerlich zu Ende gehen wird. Dazu kommen demente Züge, die orale, aber auch auditive Aktionen beschwerlich machen. Wieso nur mir das auffällt, ist verwunderlich. Vielleicht ist meinem Opa das nach endloslangem Einreden egal. Er ist eigentlich ein sehr altruistischer Mensch, der schaut, dass es allen gutgeht, dabei ist er gleichzeitig ein melancholischer Mensch, der das ganze Leid gegen sich selbst richtet. Bei der Rolltreppe angekommen stelle ich mich nach rechts, rechts stehen, links gehen, hallt es in meinem Ohr. Die Stimme meiner Mutter hallt in meinen Ohren, oft sind wir zusammen zu zweit auf der Rolltreppe gestanden. Neben mir hasten gestresste Geschäftsleute, triste Teenager und eigennützige Erwachsene vorbei, ihr Leben ist gefüllt mit Problemen. Probleme, die mich teilweise schon beschäftigen, andererseits erst erlangen werden. Es ist eine lange Rolltreppe, länger als alle, die ich in Klagenfurt je gesehen habe. Nach monatelanger destruktiven Depression habe ich mich so sehr auf diesen Moment gefreut, doch jetzt weiß ich gar nicht mehr worauf ich je hingefiebert habe. Als die rabenschwarze Rolltreppe mich an ihr Ende gebracht hat, macht mein Opa einen schnellen Schritt nach vorne, während ich aus Reflex selber auf das aschfahle Aluminium steige. Ich drehe mich um, meine Oma sehe ich nicht mehr.
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