Wieso fragt mich niemand nach dem Jetzt?
Ich war gestern beim Arzt. Ich saß da also auf dem Stuhl und natürlich kam von ihm eine Frage, um Sympathie aufzubauen und keine peinliche Stille auszulösen. „Na, was machst du nach der Schule?“, fragte er mich mit einem freundlichen Lächeln. – Hm, die Frage habe ich in letzter Zeit übermäßig oft gestellt bekommen. „Was stellst du dir für die Zukunft vor?“ oder „Weißt du schon was du werden willst?“.
Ich antwortete knapp und kurz, dennoch mit einem freundlichen Unterton: „Arbeiten oder Studieren, da schau ich gerade“. – Wieso will niemand wissen was ich jetzt mache? Was ich gerade gern mache, was ich mag, was mein Lieblingsessen ist? Sagt meine Zukunftsvorstellung so viel über meine Persönlichkeit aus? Mir stellt sich eigentlich die Frage ob man überhaupt nicht an Zukunft denken kann? Ist nicht alles irgendwie Zukunft? Was ist eigentlich mit jetzt? Jetzt ist gerade schon vorbei – jetzt existiert nicht wirklich oder?
Ich schaue den Arzt an und denke mir still in meinem Kopf: „Was haben Sie in fünf Jahren vor? Sitzen Sie dann noch immer hier? Und das wäre ja auch nicht schlimm, aber wäre es in meiner Position angemessen, zu fragen? Und ist es überhaupt angemessen mich danach zu fragen? Eigentlich weiß doch niemand was genau in der Zukunft mit mir passiert, oder?“. Aber das habe ich nicht gesagt.
Ich ging aus dem Zimmer und dachte nach: „Fragen Menschen einen über die Zukunft, weil es oberflächlich und eigentlich egal ist? Oder fragen Menschen einen deshalb, weil sie sich einbilden, eine Person beurteilen zu können?“
Wieso fragt mich denn niemand nach dem jetzt? Sagt das nicht viel mehr über mich aus?
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