Wieso ich anfing, meinen Kaffee schwarz zu trinken
Ich wache auf, schaue auf den Wecker. „Toll, verschlafen“, sage ich. Verärgert stehe ich auf, gehe in die Küche, mache mir einen Kaffee und öffne den Kühlschrank. Keine Milch mehr. Trinke ich eben einen Espresso. Vor zehn Minuten hätte ich bei der Arbeit sein sollen. „Auch schon egal“, denke ich und schlürfe den letzten Schluck Kaffee. Ich ziehe mich an und gehe hinaus. Vor der Haustür liegt die Zeitung. Ich hebe sie auf und lese die Schlagzeile: „Regierung warnt vor 4. Welle“. „Geh bitte! Ernsthaft?“, zische ich und lasse die Zeitung wütend fallen, da wo sie vor Kurzem von der Postfrau platziert wurde. Wissend, dass mein Tag sowieso schon hinfällig ist, gehe ich in die Garage, möchte meinen schwarzen VW Polo aufsperren und bemerke, dass nur ich mich im Raum befinde. Schön, sich erst jetzt daran zu erinnern, das Auto gestern Abend stehen gelassen zu haben und mit 0, 6 Promille heimgegangen zu sein. Also schwinge ich mich aufs Rad, das, wie man es aufgrund meiner bisherigen Pechsträhne erwarten hätte können, keinen Platten hat. Die Welt meint es vielleicht doch gut mit mir. Es ist noch kühl, aber den Fahrtenwind am Körper zu spüren, fühlt sich angenehm an. Ich bleibe noch bei der Bäckerei stehen, öffne die Eingangstür und statt dem gewohnten „Guten Morgen!“ höre ich ein „Geh bitte, das darf nicht wahr sein!“ und sehe Scherben am Boden, umringt von einer Flüssigkeit. Scheint, Kaffee zu sein. Dahinter eine Mitarbeiterin, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend. Obwohl sie meint, ich solle nichts tun, helfe ich und sammle Splitter auf, während sie den Boden wischt. „Schau‘, alles wieder sauber. Eine Käsesemmel bitte“, sage ich und schmunzle meinem Gegenüber zu. „Sehen wir uns heute?“, frage ich noch, während meine beste Freundin den Käseblock aus der Vitrine nimmt. „Gerade deswegen freue ich mich auf heute“, bekomme ich als Antwort. Ich lache und denke daran, dass es mir genauso ergeht. Ich nehme meine Jause entgegen und verabschiede mich. Jetzt geht es ins Büro. Spät aber doch. Mein Chef soll froh sein, dass ich mich überhaupt noch dort sehen lasse. Wie erwartet, werde ich nicht mit einem „Hallo, wie schön, dich zu sehen!“ begrüßt, sondern mit einem „Haben Sie auf die Uhr geschaut? Oder haben Sie keine, so wie Sie bald keine Arbeit mehr haben werden?“ Ich entschuldige mich, verdrehe, sobald ich meinem Chef den Rücken zukehre, meine Augen und nuschle „Geh bitte, Trottel“, und setze mich. Der Tag vergeht langsam. Abends treffe ich mich mit meiner besten Freundin in der Bar. „War dein Tag auch so beschissen?“, fragt sie mich und setzt mit ihren Lippen an ihrem Rotweinglas an. Ich muss grinsen. „Nach all dem, was passiert ist. Ehrlich gesagt, nein. Mir wurde klar, dass ich Kaffee lieber schwarz trinke, dass es mir Freude macht, Rad zu fahren und dass ich froh bin, jemanden zu haben, dem ich den Tag verschönern kann. Und es gibt noch einen Grund zum Anstoßen. Meine Liebe, ich habe meinen Job gekündigt.“
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