Wir, die Kinder der Mine Boyacás
Der erste rasselnde Atemzug des Tages. Die staubige Luft brennt in der Lunge. Die betäubende Hitze scheint mich mit aller Kraft auf meine Matratze drücken zu wollen. Selbst mein Atem scheint in der glühenden Umgebung jegliche Leichtigkeit verloren zu haben. Aber diese Dinge sind mir vertraut, alles bloß Alltag. Als ich mich aufrichte, widerstehe ich ein letztes Mal der Versuchung, mich zurück auf die Matratze sinken zu lassen und nie wieder eine Faser meines Körpers in Bewegung zu setzen. Allerdings weiß ich, dass das nicht geht, denn wir brauchen das Geld. Das Geld der Kohlemine in Boyacá. An guten Tagen schaffen wir es bis zu 15 kg Kohle an die Oberfläche zu bringen, dafür bekommen wir 500 Pesos. Genug, um davon eine Woche zu leben. Ich streife mir meine abgenutzten Ledersandalen über die nackten, dreckigen Füße. Trotz meiner Schuhe ist die Hitze des Bodens fast unerträglich und auch, dass die Sonne noch nicht lange aufgegangen ist, hilft nicht viel. Selbst wenn ich renne, kann ich der Hitze nicht entkommen. Wenn ich Stimmen aus der Ferne rufen höre weiß ich, dass es nicht mehr weit ist, bis zur Mine.
Es gibt oft Explosionen, aus denen viele Opfer hervorgehen, vor ein paar Monaten war mein Vater unter ihnen. Seitdem muss ich an seiner Stelle arbeiten gehen. Früher hatte ich immer gehofft, zur Schule gehen zu können. Doch statt in Klassenzimmern gebeugt über Büchern zu sitzen, hole ich jetzt Kohle aus tiefer Dunkelheit.
Nachdem ich endlich bei dem Minenschacht angekommen war, bei dem ich arbeite, höre ich nicht wie sonst die vertrauten Schreie und Rufe meiner Mitarbeiter. Vor dem Einstiegsloch steht bloß ein großes rotes Schild. Das rot ist so grell, dass es mir fast in den Augen weh tut. Ich kann Buchstaben in weiß darauf erkennen, doch für mich ergeben sie keinen Sinn, nur wirre Symbole auf einem zu grellen Untergrund. Die kühle, stickige Luft des Schachtes schlägt mir entgegen, als ich ihn betrete. Vielleicht sind die anderen bereits bei der Arbeit? Manchmal bekommen wir Lampen, allerdings nicht oft, also bin ich an die Dunkelheit der Mine gewohnt, es macht mir nichts aus. Dunkelheit ist mir lieber als grelle Farben, wie die des Schildes. Das Knirschen des sandigen Untergrundes unter meinen Sandalen wird in Echos hundertfach in die Tiefe geworfen, während ich den ersten Schritt in die unendlich scheinende Schwärze wage. Noch immer ist keine Menschenseele zu sehen oder zu hören. Ein Fuß vor den anderen immer weiter in die tiefe Finsternis. Mittlerweile kann man kaum noch die Hand vor den Augen sehen. Als ich den lauten Knall der Explosion wahrnehme, ist es schon zu spät, vielleicht wartet nach dem Tod eine bessere Zukunft auf uns.
Wir, die Kinder der Mine Boyacás.
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