Wir könnten es so schön haben
Du stehst auf der Anrichte eines Hochhauses, Autos quetschen sich durch die Innenstadt, der ganze Nachtverkehr unter dir strahlt dich aus hundert Lichtern an. Der Wind zerrt ungeduldig an deinen Gewändern wie ein Kleinkind am Mantel seiner Mutter, das „ich will das und das“ quengelt. Nur das der Wind von dir nichts will. Und du nichts von der Welt. Einfach nichts mehr.
„Was machst du hier?“ Hinter dir ertönt meine Stimme, leicht hysterisch, außer Atem. Ich bin den ganzen Weg für dich gelaufen, zwei verdammte Kilometer in der „lauf-um-dein-Leben“- Geschwindigkeit, nur wegen dir. Du drehst dich nicht um, starrst weiter auf den Nachtverkehr. „Ich kann nicht mehr.“
Du sagst es leise, weißt aber, dass ich dich klar und deutlich gehört habe. „Warum?“, frage ich keuchend, die Hände auf meine Knie gestützt und versuche, meine Lungenflügel wieder mit Sauerstoff zu füllen. Verdammtes Asthma. „Weil dein Leben nicht so läuft wie du es gern hättest?“
Du drehst dich um, deine Augen speien Feuer. „Immer wenn ich denke, mein Leben „läuft“, schlägt es mit hundertdreiundvierzig Sachen zurück.“ Trotz des Flüsterns spüre ich die Schärfe deiner Worte wie frischgewetzte Messer und bei diesem Ton spannen sich meine Schultern an. Sowie damals.
Ich beiße auf meine Unterlippe und unterdrücke den Drang, dich anzuschreien, du sollst von dieser blöden Anrichte weggehen, weg vom Hochhaus, weg von hier. Wir könnten es doch so schön haben. Wir könnten das alles vergessen. „Das sollte kein Grund sein, dich hier stehen zu sehen“, sage ich leise.
Deine Unterlippe zittert. „Aber ich hab es satt, so satt.“
Und in dem Moment zerbricht die spannungsgeladene Atmosphäre um dich und dein schwaches Ich bricht hervor. Du schlägst die Hände vors Gesicht, deine Schultern beben wie ein Motor, nur das deiner qualvoll abstirbt, langsam, mit jedem zitternden Atemzug, den du durch deine Kehle stößt. Tränen bannen sich einen Weg durch deine Finger und tropfen erbarmungslos auf den harten Betonboden.
Ich atme tief durch. „Eigentlich ist das Leben schön.“
„Ja, wunderschön“, sagst du mit triefendem Sarkasmus.
Ich schweige, während kühle Nachtluft meine nackten Arme streift.
„Ich hab aber noch keine Schönheit darin gesehen“, sagst du mit dumpfer Stimme.
„Und das wirst du auch nie.“
„Stimmt.“
„Wenn du nicht sofort da runterkommst.“
Du hebst deinen Kopf und starrst mich mit einem undefinierbaren Blick an.
„Es kann dir doch egal sein, was ich mache.“
Irgendetwas in mir fängt an zu kochen. Es macht mich wütend, dich hier stehen zu sehen, wo doch so viele Menschen auf der Welt schlimmere Leiden haben als die Sorgen eines depressiven Menschen hier oben.
„Aber das ist es nicht. Du bist nun mal nicht egal. Das bist du niemanden, es gibt Menschen auf der Welt, denen du unheimlich wichtig bist.“ Meine Augen brennen.
Ich habe dir versucht zu helfen, in deinen schlimmsten Situationen, doch du hast mir jedes Mal die Tür deines Inneren zugeknallt und mich ratlos davor stehen lassen.
Und ich werde weiter warten.
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