Wir, und mehrvon Bernadette Sarman
(1)
Du sitzt gerade im Zimmer und starrst auf den Bildschirm. Ein Aufschauen, ein Lächeln für mich, wenn ich dir zuwinke, deine Augen sind müde. Ich komme aus der Stadt, deine Wurzeln hast du noch hier im Grün gelassen. Du weißt noch nicht, wann sich deine Flügel ausbreiten, weißt nicht, wann es für dich soweit ist.
Manchmal, Schwester, wenn wir um Mitternacht in der Küche stehen, und du Müsli in deine Schüssel leerst und ich auf die Uhr schaue und froh bin, noch Zeit zu haben, dann lachen wir. Einfach so, und ich kann nicht erklären, warum. Wir machen Witze über uns und das Außen reagiert mit einer Heftigkeit, aber sie sehen Worte, nicht das Wir.
Mein Herz hüpft, wenn du mich fester drückst als ich dich und meine Nase stößt an deine Schulter, weil ich kleiner bin. Ich bin nicht selten müde, einfach müde von dem Leben, das mir manchmal und so oft zu schnell geht, und ich schaue in dein Gesicht und sehe Augenringe, die hattest du nie. Manchmal sagst du, du magst es hier nicht und ich kann dich nur anschauen und sagen „Ich auch.“ Alles, was ich dir geben kann, sind meine Arme um dich, aber dir reicht es.
(2)
Ein Jahr davor, wer waren wir? Schwester, du wolltest reisen, wie sie und ich, und ein bisschen konnten wir dir von der Welt mitnehmen. Ein bisschen Asien, ein bisschen Ozeanien, und Neuseeland trägst du bis heute mit Stolz um deinen Hals.
Mein Blick ist durch verschmierte Busfenster auf Dschungellandschaften gewandert, ich bin vom Wellenrauschen wach geworden. Ich habe dir Palmen gezeigt, durch den Handybildschirm, und du bist im Klassenzimmer gesessen, an einem kalten Jännermorgen. Da bist du in einem Jahr, habe ich dir gesagt. Immer und immer wieder, während du mit rauchendem Kopf vor Prüfungen gesessen bist. Dein Lichtkegel fiel auf Wörter, die du verstanden hast, doch das System dahinter nicht. Du wolltest weg, ich weiß, irgendwann ist es vorbei, habe ich gesagt. Jetzt ist es vorbei und du bist noch da – vor einem Jahr, Schwester, wer waren wir?
Wir beide so voll von Sehnsucht, wir suchen schon so lange. Ich sage, ich will noch die Welt sehen, aber dich nicht zurücklassen, und dann merke ich, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet. Kann mein eigenes Leben so schwer in den Vordergrund stellen, wenn sie und du so oft der Grund sind, warum ich dafür dankbar bin.
(3)
Ich rede ohne eine Antwort zu erwarten und ich weiß, du hörst zu. Und dann gibt es Tage, wo sich das Grau vom Himmel auf die Erde verschiebt. An manchen Tagen stehe ich über dem Grund, ohne Grund, und du lässt es nicht zu. Du lachst mit mir und nicht immer ist es glücklich, aber du weißt, dass wir es brauchen. Schwester, wie viel haben wir gesehen, was wir nicht sehen wollten, grelle Bilder in getrennten Köpfen. Oft starren wir uns beide an, mit nassen Blicken, und ich schweige, obwohl ich dachte, ich kann gut mit Worten. Wo sind meine Trophäen jetzt, dann hat nur Stille einen Wert.
Du sagst, du magst meine Hoch und Tiefs nicht, wie sie fallen und steigen. Unkontrollierbar, es tut mir leid, ich weiß. Oft sind meine Worte hart, form sie neu, deine Hände schaffen das.
(4)
Unsere Kindheit - ein Wort, das leuchtet; wir wissen, wir hatten eine gute. Wir dachten, später können wir alles, doch das konnten wir schon damals; wir wussten es nur nicht. Fast jeden Sommer in einem Land verbracht, das wir zweite Heimat nennen. Die Sonne war anders, stärker und wir so klein unter ihr. Gemeinsam unsere Goldfische unter Bonsaibäumen begraben, durch Straßen gegangen, die wir heute nicht mehr kennen. Bisschen zerrissen, aber zusammen waren wir es nicht mehr ganz.
Gras in unseren Haaren, zu dritt gelacht, im Kreis gedreht. So oft den Baum im Garten geheilt, sind hochgestiegen, waren mutig. Mit erdigen Fingern Gänseblümchen auf die weiße Birkenrinde gedrückt, „er ist ja krank“. Hast jede meiner Bewegungen verfolgt, ich wusste nicht, dass ich dir so viel geben kann.
(5)
Und Schwester, nach all den Jahren, wie werden wir uns gegenüberstehen? Wenn Mama und Papa nicht mehr sind, wer werden wir sein? Haben Familien, vielleicht Kinder – werden wir uns die Hand geben? Wirst du meinen Kopf auf deiner Schulter vergessen, nachmittags am Sofa?
Wie wir Filme und dann uns auf dem Bildschirm sehen, wenn er schwarz wird. Wie wir sehen, dass wir so verschieden nicht sind.
Wir wollen uns nicht ähnlich sehen, aber wir denken gleich. Wir lachen über das, was wir nicht sein wollen. Kein Wange-zu-Wange, keine Handeschüttler, nur Arme um uns. Keinen höflichen Gruß, sondern ein breites Lächeln. Immer in mein Ohr lachen, so laut, dass unsere Nachbarn es hören, so laut, bis mein Herz gegen meine Rippen schlägt und bis wir beide keine Luft kriegen. So laut, bis keine Sorgen mehr um die Ecke biegen, weil sie Angst haben vor unserer Freude.
Du sitzt gerade im Zimmer und starrst auf den Bildschirm. Ein Aufschauen, ein Lächeln für mich, wenn ich neben dir stehe. Schön, dass du da bist, sagt dein Blick. Deine Arme um mich, es tut gut, uns zu halten.
Sag mir, Schwester, bitte hör nie auf damit.
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