Wir waren
Zwischen Heringdosen, umrankt von Kronkorken und fettigen Servietten sollen sie vergammeln.
Ein Mann schlurft vorbei, seine Hände sehen aus wie zerknittertes Pergament, durchkreuzt von blauwässrigen Flüssen. Sie umschlingen eine Bierdose, erodieren sie ringsherum, schmettern sie in die Tonne. Schiffbruch in trommelfellanschwellender Stille. Überall klebriges Elixier. Sie sollen ersaufen.
Ich habe ein Rettungsschwimmerabzeichen und greife dennoch nicht ein. Schaue zu, wie die Negative krepieren. Sammle an meinen weichgespülten Lidern, um den Klatschmohn neben dem Mülleimer zu kultivieren.
Die Erinnerungen. Dass du warst. Dass wir waren. Ich will sie massakrieren. Sie an Backsteinmauern zerschellen lassen, wo deine tintenbefleckten Finger einst Schlangenlinien fuhren, um Weberknechte zu umrunden. Will sie in die Ritze der limoverschmierten Couch zwängen, auf der wir immer Scrabble spielten, während du das Spielbrett auf deinen verschrammten Kniescheiben balanciertest. Will sie auf dem Schrottplatz vernichten, wo mein gebrandmarkter Körper sie entzünden soll. Will sie mit Erde ersticken, sie verschütten und ihre Stätte mit dem sitzenden Marmorengel schmücken, den du immer so scheußlich fandst.
Aber kein Ort schluckt sie. Die Erinnerungen.
Mein Kopf. Ein Kaleidoskop, das sich dir unterworfen hat.
Und du. Wo du überall bist. Inmitten von Zapfsäulen. Klingelstreichen. Winkekatzen. Fußabtretern. Tiefkühltruhen. Standlichtleuchten bist du.
Nirgends bist du nicht. Weil du warst. Weil wir waren.
Wie du und ich nur so viel Abstand hielten, um uns gerade noch genug zu sein. Es mir nichts mehr ausmachte, in diesem Knochengerüst eingesperrt zu sein. Es keinen schallenden Laut mehr gab, weil mein Herz nicht mehr gegen Gitterstäbe knallte. Alles schwebte. Ich bekam Freigang.
Dein Hals über meinem Kopf. Weil schon als Vorschulkind Hosen nur deine Knie bedeckten, die Achillesfersen nie erreicht wurden. Du beim Basketballspielen den kühlen Metallkorb nur eine halbe Armeslänge von dir entfernt sahst. Du bei Fotos in der letzten Reihe standst. Decken verliefen in deiner Nachbarschaft.
Wir lebten. Wir sogen mit rasselndem Atem unsere Existenz ein. Spürten nachts um 3: 42 Uhr bei rasenden Reigen nur jede zweite Sekunde den feinkörnigen Teer unter unseren Füßen, weil wir jede erste damit beschäftigt waren, dem Himmel ein Stück näher zu kommen. Auch wenn du, dein Hals über meinem Kopf, mir den Ausblick auf das sternzerüttelte Himmelszelt verdecktest. Du warst. Wir waren.
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