Wo das Grau liegt
Ich beginne mit der Zukunft, weil ein Spanier einmal versucht hat, mir zu erklären, was die Zukunft bedeutet und ich habe aufmerksam zugehört und genickt und trotzdem weiß ich es heute immer noch nicht.
Denn was ist es, das die Zukunft von der Gegenwart unterscheidet und von der Gegenwart die Vergangenheit?
Wenn ich mir Katzenvideos im Internet ansehe, dann ist das etwas anderes als der Regenspaziergang, den ich später machen könnte mit meinem Hund. Und einmal davon abgesehen, dass Regenspaziergänge von Haus aus weniger farbenfroh als Katzenvideos sind, so liegt der einzige Unterschied, denke ich, in eben ihrer Farbigkeit.
Ihre Andersartigkeit rührt von dem Fakt, dass die Gegenwart nicht mehr zu ändern ist, während die Zukunft, und sei es auch die nahe oder unmittelbare Zukunft, völlig frei und offen und deshalb grau und undurchsichtig ist. Weil sich die Möglichkeiten bis ins Unendliche verdichten, wie man Pigmente in einen Farbtopf wirft und anstatt eines Regenbogens nur trübes Grau oder deprimierendes Braun erhält.
Die Gegenwart hingegen, ist ein komponiertes Bild, ein Gemälde, die Gegenwart dauert nur einen einzigen Moment lang, ein Frame im Film, die Farben vorgegeben, festgeschrieben, sie sind einfach da. Sie sind einfach da. Und deshalb nennen wir es Gegenwart.
Und obwohl sich Gegenwart und Vergangenheit in diesem Aspekt bis zur Verwechslung ähneln, so sind sie doch grundverschieden. Weil ich jetzt Katzenvideos sehe, ist es ausgeschlossen, dass etwas anderes passiert, faktisch findet immer nur die eine, jetzige Gegenwart statt. In diesem Punkt ist sie genauso bewegungslos wie die Vergangenheit.
Die Vergangenheit jedoch ist blass, weder farbig noch farblos, noch farbangefüllt bis zur Monochromasie. Die Vergangenheit ist eine monströse Ansammlung von abgelaufenen Gegenwarten und deshalb sind auch ihre Möglichkeiten festgeschrieben, fertiggeschrieben, wir benötigen sie nicht mehr, wir entziehen ihr die Farbe, damit ihre Datenmenge nicht unsere Gegenwart stört. So wie wir alte Fotos aussortieren und nicht alle Ausgaben der Frankfurter Allgemeinen behalten, sondern nur die, die uns wirklich interessieren.
So viel also zur Theorie.
Die Praxis aber, sieht immer ganz anders aus. Wir trennen nicht strikt zwischen Zukunft und Gegenwart, der menschliche Verstand schafft es nicht, schafft es nicht, zu akzeptieren, dass in der nächsten Sekunde theoretisch alles passieren könnte. Auch weitet er die Gegenwart aus, nimmt ihr die Präzession, macht sie plump und bezeichnet eine Zeitspanne aus Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit als jetzt.
Die Zeit ist ein komplexes Muster, es tut manchmal gut, nicht verstehen zu müssen. Einstein mühte sich ab und fand nicht einen Funken Wissen in diesem Glutball aus Konstrukten, doch manchmal ist es auch deprimierend. Man hilft sich also mit Gerüsten, mit Spaziergängen und Katzenvideos, doch eigentlich sind wir ahnungslos, grau und stumpf und nur manchmal vernehmen wir im Nebel ein farbig glitzerndes Funkeln.
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