Wo sucht Teddy um Asyl an? von Penelope Duran
Der Grenzschutzbeamte (G) nähert sich dem Mädchen (M), die allein an der Grenze sitzt, während sie ihren Teddybären umarmt.
G: Was für schöne Sternohrringe du hast.
M: Papa hat sie mir gegeben. Er sagt, sie sind wie Polaris – der leitende Stern. Polaris soll uns wieder in Sicherheit führen. Schau mal, Teddy hat auch einen Ohrring.
G: Ja, Teddy hat auch einen schönen Ohrring. Woher kommt ihr?
M: Teddy wurde in Europa geboren.
G: Und du? Du sprichst Deutsch wirklich gut – kommst du aus Europa?
M: Nein, ich komme aus Nordafrika, aber es ist nicht mein Zuhause. Ich ging dort an die deutsche Schule.
G: Warum?
M: Für bessere Chancen. (Sie gräbt in ihrer Tasche herum und zieht ein Blatt heraus. ) Guck mal, Papa hat ein Gedicht geschrieben.
G: (lesend) Neuland…
Eine Oase in der Wüste für Millionen von Wanderern,
Die auf der Suche nach den Land von Milch und Honig sind. . .
M: Teddy mag auch Honig.
G: Eine Art Paradies sozusagen – mit unzähligen Möglichkeiten,
Wie ein Schmetterling angezogen zu dem Nektar des Schlaraffenlandes.
M: Wie finden Sie das Gedicht?
G: Sehr schön. Ist dein Vater Dichter?
M: Nein, er ist Diplomat.
G: Und deine Mutter?
M: Sie ist Ärztin. Sie hilft Menschen, aber ihr Land existiert nicht mehr.
G: Und das Land deines Vaters?
M: Es existiert, aber wir können nicht dort sein.
G: Warum seid ihr hierher gekommen?
M: Wie ich gesagt habe, mein Vater ist Diplomat. Wir sind alle Diplomaten. Wir suchen Frieden. Es gibt in Europa keinen Krieg mehr. Lesen Sie weiter . . . über die Mauer.
G: Mauerland …
Bei jeder Schule, jeder Botschaft, die ein Land repräsentieren, gibt es einen Tag der Offenen Tür.
Aber wieso lassen wir diese Tür nur für einen Tag offen?
Wieso nicht für eine Woche, einen Monat, ein Jahr oder sogar für immer?
Soll diese Tür zu einem Flur voller Licht für andere geschlossen bleiben?
M: Die Mauer ist schon gefallen. Das Mauerland gibt es nicht mehr. Die gibt es nur für Menschen wie uns.
G: Vielleicht wird diese Mauer genau wie die Letzte fallen.
M: Vielleicht. Aber es wird nicht einfach sein. Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis die Erste gefallen ist.
G: Manche sagen, dass man die Chinesische Mauer vom Weltall sehen kann, aber das stimmt nicht, wie hier dein Vater geschrieben hat.
Weltland …
Vielleicht würde eine Welt ohne Grenzen entstehen – eine Art Utopia,
Ein wunderschönes vereinigtes Weltland ohne Trennungen.
Sähe unsere Welt dann wie vom Weltall aus?
Mit tausend blinkenden Lichtern des Lebens und grenzenlos.
M: Wenn so ein Weltland nur wirklich existieren könnte. Dort oben gibt es keine Grenzen wie hier unten.
G: Vielleicht existiert es doch – bei der Raumstation.
M: Ja, in einer Raumstation arbeiten die Menschen zusammen, egal aus welchem Land.
G: Wussest du, dass der Kommandeur der Station Europäer ist?
M: Nein. Aber Teddy ist glücklich, dass jemand aus Europa dort oben ist. Teddy will doch, dass alle in Europa akzeptiert werden, so wie der Europäer im Weltall. Er will auch Frieden finden. Teddy sucht um Asyl an.
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