wortflutvon Anna Richter
Selten verlassen Worte deinen Mund. Wenn sie es tun, ist es mehr Wortgeflüster, der Hauch einer Erzählung. Selten höre ich hin und immer seltener sagst du etwas. Ich erzähle dir von mir und von dir und du nickst und sagst „hm“. Ich rede über leben, sterben, riskieren.
„Das Leben ist keine Generalprobe“, sage ich zu dir, „Es ist auch keine Aufführung. Das Leben ist eine Improvisation!“ Du nickst, stimmst mir wortlos zu. „Wenn wir nicht untergehen wollen, eine große Rolle spielen wollen, dürfen wir nicht im Hintergrund verblassen“, fahre ich fort und werfe prüfend einen Blick zu dir. Deiner Haltung nach macht dir die Rolle des Statisten nichts aus. Und wenn doch, dann traust du dich nicht, einen Schritt ins Licht der Scheinwerfer zu wagen. „Weil wir anders sind, so ganz anders“, denke ich mir. Wann immer ich Musik höre, fange ich an zu tanzen, du zuckst zusammen, siehst dich um – fürchtest dich vor Verfolgern? Die Nacht macht mich glücklich, während du stets eine Taschenlampe suchst. Was widersprüchlich ist, wo du doch das Licht meidest. Auch meinen Blicken gehst du aus dem Weg.
Manchmal würde ich dich gerne anstoßen, weil du dich nicht rührst. Dich nichts traust. Doch ob das etwas bringen würde? Also erzähle ich dir mehr über uns. Ich öffne meine Augen, meinen Mund, so kann ich strahlen. „Eine Ausstrahlung,“, erkläre ich, „hat jeder. Man kann sie aber nur herauslassen, wenn man sich nicht verschließt!“. Du kneifst die Lippen zusammen und ich frage mich, ob in dir überhaupt etwas strahlt. Deswegen rede ich weiter. „Das Leben, die Liebe, alles hat eins gemeinsam: Man muss laut genug und nicht zu leise sein.“ Ich zweifle, ob auch du das weißt.
Meine Gedanken behalte ich nie für mich und während ich sie ausspreche, warte ich auf deine Reaktion. Du siehst mich an, deine Augen scheinen sich in meine zu bohren, lassen mich verstummen. Dein Blick voller Bitterkeit, Müdigkeit, ich schäme mich. Unsicher lege ich die Hand auf deine Schulter. Es scheint mir richtig. Du blinzelst, mehrmals. Dass du Luft holst, höre ich nicht. Ich sehe es nur, weil du den Mund öffnest, zitterst. Lautlose Wörter entfliehen dir und du bist selbst überrascht. Über das, was du tust. Jedes einzelne Wort lässt du dir auf der Zunge zergehen, bevor du es loslässt. Worte schmecken gut und du hast Appetit, nichts ist so köstlich wie zarte Wörter. Kaum öffnest du den Mund, strahlst du wärmer, als das Kaminfeuer neben uns. Neben dir ist neben der Sonne, ich habe Angst, dass du uns verbrennst. Abrupt springe ich auf, öffne ein Fenster, lasse kalte Nachtluft hinein. Tief atmen, mein Hals brennt vor lauter Wörter und eisiger Luft. Man kann deine Stimme nicht überhören, ich frage mich, woher du die plötzliche Stärke nimmst. Doch zum Fragen komme ich nicht. Du erzählst, von dir und mir, ich höre zu, nicke und sage „hm“. Die Staumauer ist eingebrochen, Worte fließen aus dir heraus, überfluten alles. Ich kann dich nicht mehr aufhalten, weil du immer lauter, immer schneller, immer mehr wirst.
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