Xara
Zwischen der wogenden Masse ist sie, mitten unter den zuckenden Körpern, die sich wild im Takt der Musik bewegen, die den Bass in ihren Herzen fühlen, die Augen geschlossen, die Gedanken frei. Sie ist eine stumme Beobachterin, die weißen Kopfhörer in den Ohren, die helle Striche in ihre Erscheinung malen.
Die tiefe Stille, die aus den Kopfhörern strömt, kämpft mit der ohrenbetäubenden Musik des Clubs.
Gedankenverloren betrachtet sie die Menschen um sich herum. Die Menschen, die immer das gleiche tun, die jedes Wochenende tanzen gehen, die jungen Menschen, die sich das kleine Glück des Abends aus der Flasche holen. Die Menschen, zu denen sie damals auch gehört hat.
Ihr Blick streift vom Alkohol glänzende Augen, sieht das Vergessen in den verlorenen Gesichtern.
Früher einmal hat sie es auch genossen. Hat sich nach den tiefen Bässen gesehnt, die ihr Herz zum Rasen brachten. Doch dann hat sie es erkannt. Wie unnötig es doch ist. Dass die hitzigen Abende sie nicht glücklich machen, sie nicht glücklich ist, wenn sie sich nicht an die Zeit erinnern kann. Nicht versteht, warum andere ihre Gedanken ertränken wollen.
Sie erwartet mehr von ihrem jungen Leben. Will sich nicht mit schwammigen Erinnerungen an eine Nacht abgeben. Sie will mehr. Sie will die Welt erkunden, die Welt erobern, die Welt verstehen.
Seufzend macht sie einen Schritt auf die Bar zu, das Mädchen mit den langen Haaren, in dessen Strähnen die Lichter der Anlage bunte Punkte malt. Sie stellt sich zu einem der Tische, neben einen Jungen, der sie nicht beachtet. Kurz treffen sich ihre Blicke, kühle, dunkle Blicke. Seine Haltung ist anders als die der übrigen Menschen, er lehnt an der Seite, desinteressiert vom wilden Geschehen um ihn herum. Er erinnert sie an sie selbst.
„Du verstehst es auch nicht, nicht wahr?“ Zögerlich dringt ihre Stimme bis zu ihm, ihre kräftige, raue Stimme. Ihre Finger spielen mit dem Kabel der Kopfhörer.
„Was verstehe ich nicht?“, fragt er, überrascht, von ihr angesprochen zu werden.
Das Mädchen sieht ihn an, lange und nachdenklich. „Warum ich immer wieder hierherkomme, obwohl die Musik grottenschlecht ist und es sich zur Stille doch so viel besser tanzen lässt. Warum diesen ganzen Menschen an einem Freitagabend die laute Musik und das Vergessen genügt, obwohl es tausend andere Dinge zu erledigen gibt.“
„Ich denke … sie sind glücklich. Haben alles, für sie ist so ein Abend genug. Sie wollen nicht mehr als tanzen und sich fallen zu lassen.“, meint er leicht.
Das dunkel gekleidete Mädchen sieht ihn versunken an, streicht sich grüblerisch über das Kinn und scheint ernsthaft über seine Worte nachzudenken. „Ich glaube, du bist der erste Mensch, der mich versteht.“, murmelt sie. Dann zupft sie an ihren weißen Kopfhörern. „Hier, hör mal.“ Er nimmt einen entgegen und steckt ihn in sein Ohr. Verwundert trifft sein Blick auf das Mädchen, das ihn nur anlächelt, ihm ihre Hand entgegenstreckt und meint: „Hallo. Ich bin Xara.“
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