Zeit, etwas ander( e) s zu tun
Der Stift klopfte in regelmäßigen Abständen auf den Collegeblock. Ich streckte gelangweilt meine Beine aus, rutschte unzufrieden auf dem Stuhl herum und unterdrückte nur mit Mühe ein Gähnen. Nicht nur die todeslangweilige Predigt meines Klassenlehrers folterte mich mental, sondern auch dieses dämliche Klopfen. Aus schmalen Augen schielte ich zu meinem Sitznachbarn, der schon seit einer viel zu langen Zeitspanne wie ein Kleinkind abwechselnd an seinem Bleistift nuckelte und ihn dann auf seinen Block sausen ließ.
Als er das nächste Mal auf das Papier haute, zuckte ich zusammen.
„Kannst du das mal bitte lassen? Langsam ist’s doch gut!“, presste ich hervor.
Der Junge wandte den Kopf und starrte mich mit seinen Stielaugen über den Rand seiner froschgrünen Brille an. „Hä?“
Wütend ballte ich meine Faust und funkelte ihn an. „Du sollst es lassen!“ Er zog den Kopf ein und betrachtete ausgiebig seine Füße. Den Bleistift hatte er fallen lassen.
Kopfschüttelnd schaute ich aus dem Fenster und ließ meine Gedanken schweifen. Mein Blick blieb an einer Wolke hängen: die Form einer Feder. Ich betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf und musste unwillkürlich lächeln.
Federn sind für mich schon immer ein Symbol der Freiheit gewesen. Sie halten warm, aber wenn die Zeit gekommen ist und sie ihren Dienst ausreichend erledigt haben, verabschieden sie sich und fliegen einfach davon.
Mit gerunzelter Stirn setzte ich mich auf dem Stuhl zurück und dachte darüber nach.
Warum denn nur Federn? Wir sind doch alle in irgendeinem Grad dazu fähig, zu entscheiden, wann wir fliegen wollen. Wann wir die Schnauze voll von unserem bisherigen Leben und dem damit verbundenen Alltag haben. Jeder Mensch hat doch das Recht, sich sein eigenes Leben aufzubauen, kann entscheiden, wann es genug ist.
Diese Freiheit macht uns zwar nicht unbedingt zu etwas Besonderem, aber sie gibt uns in gewisser Weise eine … Fähigkeit.
Oder … braucht man diese überhaupt?
„Ihr seid in der Pflicht, eurer neuen Schule mit Respekt und Ordnung zu begegnen“, sagte unser Lehrer grade. Ich starrte ihn an.
Blödsinn. Ich, und auch andere, wir sind zu gar nichts verpflichtet. Wir haben die Freiheit und Fähigkeit, anderen Menschen rücksichtsvoll zu begegnen. Gezwungener Respekt ist wertlos.
Was wir tun, müssen wir selbst entscheiden. Der fremdbestimmte Alltag, das ständige Aufstehen, Essen, Schule und Lernen und wieder Schlafengehen geht mir auf den Nerv.
Abrupt stand ich auf, so dass mein Stuhl beinahe nach hinten kippte und zog die gesamte Aufmerksamkeit der Klasse auf mich. Ohne irgendetwas zu sagen, sammelte ich meine Tasche auf, hob den Bleistift meines Mitschülers auf und marschierte zur Tür.
„Ähhh, was …“, setzte mein Lehrer an.
Ihn ignorierend, drückte ich die Klinke und drehte mich noch einmal um. „Mir reicht’s, ich bin weg. Und du“, ich wandte mich zu dem bleistiftsaugenden Jungen, „beherrsch‘ dich gefälligst.“ Damit bewarf ich ihn mit dem Stück Holz.
Dann zog ich die Tür zu.
„Ich hab genug.“
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