Zeit fließt – mal zäh, mal leicht
Sechzehn Uhr, es herrscht Totenstille im Haus. Schatten ziehen sich in die Länge – die Sonne geht langsam unter und wandert mehr und mehr nach Westen. Niemals würde ich einen Wettlauf gegen sie antreten, es scheint für alles zu spät zu sein. Wie von meinen Tagträumen erwacht schrecke ich hoch, und spüre, wie die Leere mich ausfüllt. Hohl bin ich im Inneren. Wieder ein Tag, der von mir fast unberührt schon wie entflogen ist.
Die Wanduhr tickt. Schweiß rinnt entlang meiner Wangen, Blick starr auf den halbleeren Test gerichtet, Hände zitternd. Minuten vergehen wie Wimpernschläge, Sekunden wie Jahre. Die Zeit fließt, klebrig und dicht, von meinen Augen über mein Gesicht bis in den Nacken.
Der Wecker schweigt am Samstag. Erst um zehn Uhr schrecke ich hoch und merke, dass der Tag schon voll im Gange war. Fegt an mir vorbei wie ein Windstoß. Nur ich liege zurückgelassen da – verloren bin meine Zeit. Hoffnungslos schließe ich die Augen wieder, spüre, wie sie langsam verrinnt.
Keuchend stehe ich morgens an der U-Bahn-Station, wo sie rauschend vorbeifährt. Verzweifelt schaue ich auf die Anzeige, die ganze drei Minuten Wartezeit verkündet. Zurückgelassen in der stillen, vollen Menschenmenge umschließt mich, umhüllt mich, umarmt mich die stickige Luft der Station.
Ich greife nach ihr, reiße sie zu mir, erwürge sie fast – doch niemals werde ich es schaffen, meine Zeit festzuhalten.
Niemals.
***
Sechzehn Uhr, ich saß auf der Parkbank, wärmend schien die rötlich gefärbte Sonne von Westen herab. Begeistert betrachtete ich, wie sich meine Schatten in die Länge ziehen. Noch ganze fünf Stunden, bis ich ins Bett musste! Freude bildete sich tief in meinem Inneren und quillte als ein Lächeln hervor. Ich schien heute noch für etliche Abenteuer bereit zu sein.
Die Wanduhr tickte. Ein Gähnen kam aus meinem Mund, wiederholt flog mein Blick über den mit Kritzeleien bedeckten Test. Eine Zeichnung von Eularia, der Maskottchen-Eule aus unserem Mathebuch, lächelte mir vom Blattrand entgegen. Meine Füße schwangen im Rhythmus des Uhrtickens mit, während ich die Karikatur ausmalte.
Der Wecker schwieg am Samstag. Vorsichtig öffnete ich ein Augenlid und spähte auf die Uhr. Es war zehn. Vorsichtig schloss ich wieder das Augenlid und döste bis elf vor mich hin. Bald nagte die Langeweile an mir, also griff ich nach meinem Lieblingsbuch auf dem Nachttischchen. Stunden verflogen, wie ich von Zauberern und Elfen verführt wurde.
Keuchend stand ich morgens an der kleinen Busstation vor unserer Haustür, wo der Bus wieder einmal ohne Anhalten vorbeirast. Zwanzig Minuten musste man warten – doch ich zuckte nur mit den Schultern. Ein Miauen erklang hinter den Zäunen des Hauses neben der Haltestelle, und ein hellgrauer Kater trat hervor, der sich an meine ausgestreckte Hand schmiegte.
Zeit verging schnell, doch ich genoss jede Sekunde von ihr.
Der Bus kam!
Zusammen mit dem Läuten der Glocke stolperte ich lächelnd in die Klasse hinein.
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