Zippo
„Können wir es nochmal schaffen? Obwohl, sorry, glaubst du, dass ich`s nochmal schaffen kann?“, fragt sie mich, „Nach alldem, was passiert ist?“ Ich bin in meinen Instagram-Feed versunken, deswegen dauert es ein paar Sekunden, bis ich überhaupt realisiere, dass sie was gesagt hat. Ich schaue zu ihr hoch. „Hm?“ „Glaubst du´s?“ Ich beobachte ihren Mund, der die gleiche blutrote Farbe hat wie ihr Schal, versuche Zeit zu schinden, ich hab keine Ahnung, was ich antworten soll. Sie zieht ihr Zippo-Feuerzeug aus der Jackentasche und lässt es auf- und wieder zuschnappen. Auf und Zu. Schnipp, schnapp, schnipp, schnapp. Ich hab das Feuerzeug schon immer gehasst, diese ständige Geräuschkulisse, die sie umgibt, grundsätzlich alles, was mit ihrem Rauchen zusammenhängt. Wobei, man muss sagen, dass das auch irgendwie schon ne Verbesserung ist, weil sie ja früher viel Heftigeres gebraucht hat, oder eigentlich mehr gewollt hat als gebraucht. Sie erinnert mich ein bisschen an Sherlock Holmes – und ich bin Watson -, dem auch in jeder ruhigen Minute langweilig war, und ich habe bei ihr genauso wenig Ahnung, was in ihrem riesigen Hirn abgeht wie Watson bei Sherlock. Nur, unsere Beziehung ist noch komplizierter als die von Holmes und Watson. „Du musst es schaffen, oder?“, gebe ich zurück. Ich verschränke meine Arme hinter dem Rücken, ich hab keine Lust auf diese Diskussion. Sie lehnt sich nach vorne, ihr Feuerzeug immer noch in den Händen, ihre Augenbrauen ziehen sich nach oben, wie immer, wenn sie einen ihrer supertiefsinnigen Sätze vom Stapel lässt. „Muss ich überhaupt irgendwas? Am Ende ist doch eh alles sinnlos.“ „Hör auf damit. Ich hab es satt, dir beim selbstmitleidigen Rumgejammere zuzuhören.“ Langsam lehnt sie sich zurück, ihr Gesicht völlig ausdruckslos. Ich kann spüren, dass sie verletzt ist, das verunsichert mich irgendwie, sonst umgibt sie immer dieser Chitinpanzer aus Sarkasmus, Ich-bin-eh-klüger-Gehabe und einer Scheißegaleinstellung, der wohl auch der Grund ist, warum keiner der Lehrer sie ausstehen konnte. Das hat mich am Anfang auch so beeindruckt an ihr: Sie schien sich nie um das zu scheren, was die anderen dachten, im krassen Gegensatz zu mir, der es nicht mal schafft, ein Deutschreferat zu halten, ohne fast umzukippen vor Scham. Manchmal habe ich sie früher sogar gehasst, weil sie alles hatte, um diese Erde zu verändern, jemand Bedeutendes zu werden, aber dann hat sie sich mit ihrem Selbstmitleid und ihrer Langeweile am Leben ins Aus geschossen, und jetzt sitzt sie vor mir, eine 17jährige, nikotinabhängige Exmeth-Süchtige, die die Schule abgebrochen hat, und irgendwie bezweifele ich, dass sie es hinkriegt, aber das kann ich nicht sagen. „Natürlich kannst du das schaffen.“ Sie lacht heiser auf, „Lügner!“. Abrupt steht sie auf, nickt mir zu, springt die Mauer hinunter und rennt los. Das letzte, was ich von ihr sehe, ist ihr blutroter Schal, der wie ein einsamer Lichtstrahl in der Dunkelheit verschwindet.
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