Zu laut, zu viel
Zuerst ist da nur die Stille. Stille, viel zu laut. Stille, der du noch nie trauen konntest.
Dann.
Die Schmerzvollen Tage kündigen sich mit einem gewisperten "Steh auf und komm hier rüber" seinerseits an. Du zuckst zusammen. Die Schmerzvollen Tage kommen immer leise.
Heute mit Worten - und einer unausgesprochenen Drohung. Du weißt, dass du alles nur noch schlimmer machen wirst, wenn du ihm nicht Folge leistest. Er ist nicht mehr dein Vater. Er ist ein Tier. Gefährlich, hinterlistig.
Unberechenbar.
Langsam, so unendlich langsam, gehst du zu ihm herüber. Das Wohnzimmer kommt dir zu klein vor. Die Couch, auf der du zuvor noch saßt, rückt näher, die Wände auch.
Dann stehst du ihm gegenüber. Den Blick hast du auf deine Füße gerichtet, willst ihm nicht in die Augen blicken. Die Abscheu nicht sehen.
Die Gedanken in deinem Kopf überschlagen sich. Du weißt, dass du ihn enttäuscht hast. Schon wieder – aber anderes war dir wichtiger als die Zeit und das Vermissen, der leere Platz, der dich zuhause erwartet hätte. Du bist in der Disco geblieben und die Nacht ist dem Morgen gewichen. Es wurde zu spät, und jetzt bist du hier. Allein.
Es ist eine neue Art, um dich zu quälen. Die Stille ist jetzt anders. Du weißt nicht, was auf dich zukommt; und obwohl du dir sicher bist, dass es wehtun wird - so unendlich, unendlich weh - ist der genaue Ablauf ungewohnt für dich. Du betrittst Neuland, denn du weißt, dass Schmerzen vorprogrammiert sind, aber mehr nicht.
Du erfährst es. Jetzt.
Die Hand, die dir ins Gesicht schlägt, ist dieselbe, die dich gehalten hat und dich umarmt hat, als du noch klein warst. Das tut weh. Mehr als der eigentliche Schlag.
Seine Worte, die sind neu. Er schreit nicht, stattdessen flüstert er etwas von SolcheineEnttäuschung, gehmirausdenAugen. Du machst dich klein und immer kleiner, als Worte und Schläge unerbittlich auf dich niederprasseln.
Irgendwann - was ist Zeit schon? - verstummt die Stimme. Die Angst schlägt ihre Klauen in dich.
Du verharrst so.
Fragst dich, was kommt. Was anders ist. Warum das Tier, das einmal dein Vater war, so still ist.
Alles tut weh. Ein Laut kommt aus deiner Kehle, vielleicht ein Schluchzen.
Zu ungewohnt. Unvorhersehbar. Es macht dir noch größere Angst als seine Routine.
Dann.
Die Schmerzvollen Tage kommen immer leise. Das weißt du. Das hier, das Unerforschte, das hier kommt laut.
Ein Schluchzen. Nicht von dir.
Du wirst hochgezogen. Dein Körper protestiert. Aber nichts anderes, rein gar nichts, protestiert gegen die Umarmung.
Er hält dich fest. Es tut weh - mehr als seine Worte oder Schläge. Anders weh.
Er entschuldigt sich nicht. Hält dich nur.
Und du?
Du versuchst, zu vergessen.
Er entschuldigt sich nicht, ihr beide wisst: Es wird wieder passieren. Man entschuldigt sich nicht für etwas, das wieder passieren wird.
Er tut es nicht.
Vielleicht ist das der Grund, warum du ihm nicht vergeben kannst.
(Egal wie unerforscht das Neuland ist - schlussendlich ist es immer das Gleiche. )
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