Zu rot. von Caroline Kuba
Jeden Abend um die selbe Zeit stehe ich vor meinem Fenster.
Es ist ein unauffälliges Fenster in einem unauffälligen Haus.
Dunkle Vorhänge, die trübes Metall umrahmen.
Von dem Fenster aus habe ich Sicht auf einen großen runden Platz.
Er ist gefüllt mit Lichtern und Stimmen.
Mit Leben, Wärme und Geborgenheit.
Er ist gefüllt mit Gesichtern.
Wild und wunderschön bemalt.
Sie alle stehen lachend an ihren Plätzen.
Bewegen sich im Takt einer Melodie, die ich nicht hören kann.
Die ich noch nie hören konnte.
Egal wie angestrengt ich lausche.
Egal wie still ich bin.
Die Gestalten auf der anderen Seite des trüben Metalls tanzen einen Reigen.
Manchmal langsam und geschmeidig.
Manchmal so wild, dass ich Angst um mein Fenster habe.
Immer im Takt.
Immer ohne Fehler.
Immer ohne mich.
Manchmal klopfen sie an meine Scheibe, hinterlassen Fingerabdrücke, schreiben Nachrichten mit Lippenstift, wo ich zuvor so sorgsam geputzt habe. rot. zu rot.
Sie sehen die Abdrücke, die sie hinterlassen, nicht.
Vielleicht leuchten sie zu hell dafür. Überstrahlen jeden Partikel, der nicht mehr Teil von ihnen ist. So heiß, dass jeder Nicht-Teil verbrennt.
Auch sie haben Häuser.
Sie ziehen sie hinter sich her.
Manchmal sehe ich hinein.
Fenster und Türen sind immer offen. Sie besuchen sich. Aber sie trinken nie Tee.
Die Häuser sind vollgestellt mit Kunststoffpflanzen.
Zu viele, um sie zu zählen.
Ich probiere es trotzdem.
Einmal habe ich jemanden gesehen.
Für den Bruchteil einer Sekunde ist er aus dem Takt gekommen.
Ist gestrauchelt.
Ganz kurz.
Damals habe ich probiert, mein Haus zu verlassen.
Langsam. Ganz langsam, die Taschen voll mit Eiswürfeln, habe ich mich hinaus in die flimmernde Hitze gewagt.
Seine Krone hat ihn größer wirken lassen.
Nur ein kleines Stück.
Ein kleines Stück Metall, das meine Sinne getrübt hat.
Er hat mich angezogen, wie das Licht die Motten anzieht.
Er, mit seinem Haus voller Kunststoffpflanzen.
Er hat mich angesehen.
Vielleicht weil ich so dastand.
Weil er gesehen hat, dass ich die Musik nicht höre.
Er trug keinen Lippenstift.
Seine Augen waren blau.
So blau, dass ich schwören könnte, sie wären aus Eis gewesen.
Ich bin auf ihn zugewankt.
Habe probiert, die fließenden Bewegungen der anderen zu imitieren.
Er streckte seine Hand aus.
Finger rot vom Lippenstift.
Und meine Eiswürfel schmolzen.
Es hat Wochen gedauert, meine Pflanzen wieder gesund zu pflegen.
Jetzt weiß ich, dass die heißesten Feuer blau brennen.
Manchmal.
Nur manchmal.
Wenn sie mein Haus bemalen.
Will ich die Tür aufreißen.
Will fragen, ob das ein Teil ihres Tanzes ist.
Ob ich ein Teil ihres Tanzes bin.
Weshalb ich nicht mittanzen darf.
Weshalb ich nicht mittanzen kann.
Doch ich habe Angst vor der flimmernden Hitze.
Denn meine Pflanzen sind nicht aus Kunststoff.
Meine Pflanzen brauchen Wasser.
Meine Pflanzen können brennen.
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