Zu schnell
„Es sind nur fünf Minuten bis nach Hause“, murmelte ich und drückte aufs Gaspedal. Der Zeiger auf dem Tacho kletterte über achtzig. Die Straße war leer und dunkel, aber ich kannte sie auswendig – ich war sie schon unzählige Male gefahren.
Während ich mich auf die Straße konzentrierte, vibrierte mein Handy. Ich warf einen kurzen Blick aufs Display – zu kurz, um zu sehen, wer mir geschrieben hatte, aber zu lang, um zu bemerken, ob die Strecke noch sicher war.
Ein Schatten huschte plötzlich über die Straße, begleitet von einem Schrei.
Für einen Moment gefror mir das Blut in den Adern. Ich stand unter Schock und hörte nur mein Herz rasen. Sofort hielt ich rechts an und stieg aus.
Totale Stille. Die Sekunden danach fühlten sich an wie Stunden. Plötzlich war alles langsam – nur mein Herzschlag und das Zittern in meinen Händen blieben gleich.
Ich setzte mich an den Straßenrand. Niemand war zu sehen. Kein Tier, kein Mensch. Alles drehte sich in meinem Kopf: „War es vielleicht doch nur ein Tier? Oder jemand, der im Schatten verschwand? Oder habe ich mir das alles eingebildet?“, flüsterte ich mir selbst zu.
Ich lehnte mich zurück und schaute in den Sternenhimmel. Da fielen mir all die Warnungen meines Vaters ein – wie er mich angeschrien hatte, weil ich beim Fahren aufs Handy schaute. Und jetzt? Jetzt könnte es sein, dass ich genau deshalb ein Menschenleben beendet habe.
Ich stand auf, ging zurück zum Auto, schloss es ab – das Handy ließ ich bewusst im Inneren liegen – und machte mich zu Fuß auf den Heimweg.
Unterwegs verlor ich mich in meinen Gedanken. Wie ich dem Leben immer nur hinterherge-rannt war, ohne es je richtig wahrzunehmen. Als Jugendlicher kam ich ständig zu spät zur Schule, hetzte danach zum Minijob, ging anschließend noch ins Fitnessstudio – alles im Eiltempo.
Auch später änderte sich nichts. Ich versuchte, eine glückliche Familie zu führen, einen guten Job zu behalten, Freundschaften zu pflegen, Hobbys zu verfolgen, Ziele zu erreichen. Ich lebte nie im Moment – ich war immer im Kampf gegen die Zeit.
Als ich zu Hause ankam und die Tür öffnete, sah ich meine Frau in der Küche, wie sie gerade meine Lieblingsspeise zubereitete. Ich atmete tief durch.
Wir aßen alle gemeinsam. Ich war ruhig. Doch eines weiß ich bis heute nicht: Ob ich wirklich jemanden überfahren habe. Aber ich weiß, dass ich mich selbst beinahe verloren hätte.
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