Zugrunde gerichtet
Man stellt sich die Zukunft immer besser vor als den derzeitigen Zustand. Es wird immer auf eine bessere Zukunft hingearbeitet - es muss besser werden - schneller, höher, teurer. In der Regierung geht es um die Zukunft, in der Schullaufbahn geht es um die Zukunft, im Jobleben geht es um die Zukunft. Wie aber soll es eine Zukunft geben ohne einen funktionierenden Planeten? Es ist der 19. November 2045 und die Vereinten Nationen haben den offiziellen Beginn des kritischen Zerfalls der Atmosphäre des Planeten Erde ausgerufen. Es bleiben laut Wissenschaftlern noch ungefähr 24 Wochen, bis der Planet Erde wie wir ihn kannten nicht mehr für Menschen bewohnbar sein wird.
Ich sitze im Schatten (wenn man das so nennen kann) der vertrockneten Baumkrone vor meinem Büro und esse den Tütenfraß, den uns die Regierung zur Verfügung stellt, enttäuscht, aber nicht überrascht über die Neuigkeiten. Wie sollte unser Planet auch diese Strapazen über Jahrzehnte hinweg aushalten, die ihm der Mensch zugefügt hat. Seit meiner Jugend ist die Rede von Klimazielen, die jedes Jahr erreicht werden müssen, seit 2015 geschah dies jedoch nicht ein Mal.
Es ist erschütternd, den Planeten, auf dem man aufgewachsen ist, beim Zerfallen zuzusehen. Die Atmosphäre hat sich in den letzten 30 Jahren zum, für Menschen aus 2015, unvorstellbaren verändert. Früher gab es Seen, Flüsse, Naturschutzgebiete - und heute? Österreich, einst eines der grünsten Länder der Erde, vertrocknet, dürr, am Limit der Wasserreserven. Die Donau bis auf jeden Tropfen ausgetrocknet. Tägliche Waldbrände stehen am Programm. Will man wirklich noch in so einer Welt leben, frage ich mich täglich. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis es keine nächste Generation mehr gibt, hier zumindest. Die Gedanken schwirren wie einst die Bienen durch meinen Kopf.
Immer noch in meinem Tagtraum, rüttelt Rupert, ein Arbeitskollege, an meiner Schulter: „Sitzt du eigentlich im Shuttle 0943 oder 0944?“ - „Ich hab‘ noch so viel zu erledigen, bevor es losgeht, wie siehts mir dir aus?“
„Kaum zu glauben oder, denk‘ doch mal darüber nach: Hättest du vor 30 Jahren, oder auch nur vor 20 gedacht, dass wir jemals auf einen anderen Planeten umsiedeln müssen?“ - „Ich war gerade in Gedanken, wie weit es eigentlich kommen musste, ich hätte schon noch gerne mehr Zeit auf meinem Heimatplaneten gehabt - vorzugsweise aber ohne diesen Tütenfraß. Wenigstens ist so unser Überleben gesichert, grenzt bei unserer Regierung sowieso an Zaubermagie. Wie auch immer, Shuttle 0944, bis morgen dann. Guten Flug nach Hause!“
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