Zukunft nicht Geschichte schreiben
Die kahle Wand vor mir, verlassene Straßen hinter mit und Dosen, Schablone und eine Taschenlampe in meiner Hand stehe ich da. Noch ist es dunkel, aber bald wird die Sonne ihre ersten Strahlen über die verlassen Straßen legen und alles in anderem Licht erscheinen. Bis dahin sollte ich längst verschwinden. Meine Finger zittern als ich den Zip öffnen und die erste Dose heraus nehme. Sie ist kalt und schwer, so wie ich mich fühle. Kalt. Schwer. Einsam. Traurig? Nein, aber hoffnungslos. Was wird das schon bringen? Ich beiße auf meine Lippe als würde das meine Gedanken hindern und leise drehen. Als würde ich murmeln und mich zurückhalten wollen. Augen schließen. Drei tiefe Atemzüge. Ein. Aus. Ich versuche nicht an meine Schwester zu denken. An all die Menschen die mit ihr gestorben sind und die der Krise noch zum Opfer fallen werden, sondern mir das fertige Bild vorzustellen. Augen auf. Anfangen.
Die Dose ist warm und leicht in meiner Hand, und die Leichtigkeit kriecht auch über mich, als ich mit der nächsten beginne. Grün wie die Hoffnung, so froh und so leicht. Und so viel Grün auf dieser Erde, das wir erhalten müssen. Ich fühle mich nicht mehr so einsam. Fast scheint es, als würde die Schatten um mich herum mithelfen. Als würde meine Schwester voller Kraft und Tatendrang neben mir stehen. Mit ihr geht alles leichter. Scheint alles lustiger. Die Sonne kommt raus. Die Regenwolken verschwinden. Ich vermisse sie. So sehr. Aber die Trauer, die Regenwolken und Tränentropfen, in mir wurde mit der Zeit von Wut abgelöst. Die Wut. Ein Gewitter. Mit einem Schlag, einem Blitzeinschlag hat sie die Trauer besiegt. Nun regiert sie über mich. Die Wut. Aber in Form eines wolkenlosen Himmels. Wie eine eiskalte Hand hat sie die Fäden meiner menschlichen Marionette in der Hand. Es macht mir Angst, manchmal, nur manchmal, wenn ich innehalte so wie jetzt und merke, dass ich Dinge tue ohne zu Denken. Aus Wut. Mit Wut. Nach so langer Zeit ist die Wut was bleibt. Mein ständiger Begleiterin. Also bin ich eigentlich nie ganz alleine. Nie einsam.
Ich schließe die Augen. Denke an die Menschen, die das hier stolz gemacht hätte. An meine Schwester. An die Menschen, die das hier sehen werden. An den jungen Mann, der mir die Dosen verkauft hat. Falls er das hier sieht wird er nicht wissen, dass ich es war. Ich war das. Ich bin raus gegangen statt auszuschlafen. Habe ein Denkmal errichtet, für die Zukunft und für unsere Welt gekämpft, statt im Bett zu bleiben. Spüre den brennenden Geruch der Spraydosen in meine Nase steigen, statt den von frischen Pancake und die Sonnenstrahlen, mich wärmen wie es sonst nur Tee kann. Und hier und jetzt fühle ich mich zum ersten Mal seit langem nicht hoffnungslos, nicht verzweifelt, sondern als wären meine – unsere Träume schon wahr. Ich bin nicht am Nichtstun erstickt, sondern habe Zukunft geschrieben. Nicht Geschichte. Zukunft. Habe diese Wand verzaubert. Ich hoffe ich kann auch Menschen verzaubern. Etwas bewegen. Die Zukunft verzaubern.
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