Zwei Smaragde
Ich sitze dir gegenüber und versuche, deinen Blick zu meiden. Du machst es mir nicht einfach. Deine stechend grünen Augen scheinen meine grauen zu suchen. Neben dir sitzt deine Mutter. Sie hat dieselben dunklen Haare, allerdings sind ihre Augen blau, wie es die von Mama gewesen sind. Wie oft haben mich diese Augen liebevoll angeschaut, wie oft habe ich sie zu zeichnen versucht. Wie leer haben sie ausgeschaut, als ich sie zuletzt gesehen habe. Wie stumpf und ausdruckslos haben sie ausgesehen, als sie sich zum letzten Mal geöffnet haben.
„Was möchtest du trinken?“, fragt mein Vater und reißt mich aus den Erinnerungen. „Nur Wasser“, erwidere ich mit rotem Kopf. Als er weg ist, vergrabe ich meinen Kopf in der Speisekarte, froh darüber, nicht mehr deinen stechend grünen Augen ausgesetzt zu sein. Dann fällt mir ein, dass ich dieses Spiel wohl dreimal täglich durchspielen werde müssen, vorausgesetzt wir essen immer gemeinsam.
„Habt ihr schon was gefunden?“, fragt deine Mutter, die neue, große Liebe meines Vaters. Ich senke die Speisekarte. Sie schaut mich an. Mitfühlend. Wie man ein Mädchen eben ansieht, das vor wenigen Monaten ihre Mutter verloren hat.
Schnell wähle ich ein Risotto und beschäftige mich dann mit dem Stickmuster der Tischdecke, nur um niemanden in die Augen schauen zu müssen.
Während wir auf unser Essen warten, herrscht angespannte Stille. Neben mir mein Vater, den ich seit meiner Geburt kenne. Uns gegenüber zwei Fremde, die meine neue Familie sein sollen.
Die Erwachsenen tauschen vielsagende Blicke, vielleicht bereuen sie es, sich nicht mehr Zeit gelassen zu haben. Doch immerhin versuchen sie es: „Was machst du eigentlich genau beim Fußball spielen?“, fragt mein Vater. Du antwortest höflich, aber ich wäre am liebsten im Boden versunken. Was für eine peinliche Frage! Man schießt einen runden Ball ins gegnerische Tor. Zum ersten Mal an diesem Abend suche ich deinen Blick. Die stechend grünen Augen blitzen belustigt. „Wie geht´s dir denn in der Schule?“, fragt deine Mutter plötzlich. Hilfe! Möchte sie herausfinden, ob ich ein Problemkind bin? Ob sie viele Lehrergesprächen zu erwarten hat? „Meine Noten sind ganz gut“, antworte ich. Dass ich kaum Freunde habe, verschweige ich ihr lieber.
Nach dem Essen verdrücke ich mich auf die Toilette.
„Mit dir werde ich mir also künftig ein Bad teilen…“
Ich fahre herum und sehe direkt in deine stechend grünen Augen. Sie funkeln. Spöttisch? Ungeschickt drehe ich mich im Kreis, sodass mein schwarzer Rock fliegt, lache nervös und nicke. „Wie geht´s dir eigentlich in der Schule?“, ahmst du erstaunlich gut deine Mutter nach und schüttelst dabei den Kopf. „Was machst du eigentlich genau beim Fußball spielen?“, äffe ich meinen Vater nach und bin somit an der Reihe, meinen Kopf ungläubig zu schütteln. Wir schauen uns an und müssen beide lachen.
„Mit dir hätte ich es schlimmer treffen können“, meinst du dann und auf einmal wirken deine grünen Augen nicht mehr stechend, sondern einladend.
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