Zwiegespalten
Ein leises Surren ertönt, als sie gerade zu sich kommt. Aus dem Augenwinkel sieht sie einen Mann, ganz in weiß gekleidet, der ein Tablett mit Essen auf den Tisch stellt. Ruckartig setzt sie sich auf, dabei bemerkt sie gar nicht, dass sich ein Schlauch mit einer durchsichtigen Flüssigkeit von ihrem Arm löst. Wo ist sie hier eigentlich? Ach ja, da war sie gestern auch, das scheint ihr Zimmer zu sein. Sie fährt sich durch die Haare. Gar keine Kopfschmerzen? Komisch, sie hätte schwören können, dass diese soeben noch unerträglich waren. Jemand ist gerade dabei, das Bett frisch zu beziehen, als sie ihn fragt: „Entschuldigung, kann ich bitte noch ein Erdbeerjoghurt von gestern haben?“. Ein Schatten huscht über sein Gesicht, doch er fängt sich sofort wieder und murmelt etwas Unverständliches. Schulterzuckend wendet sie sich an ihre Zimmergenossin und fragt diese, ob sie nicht Lust habe, wieder eine Partie Schach zu spielen. Doch diese sieht sie verstört an und fragt: „Entschuldigung, kennen wir uns?“. „Natürlich, wir teilen uns ein Zimmer“, antwortet Nele verwundert. Entgeistert sieht die Frau Nele an und wendet sich kopfschüttelnd von ihr ab. Komisch, sie bildet sich das doch nicht alles ein?
Erschreckende Bilder von fixierten Armen und Beinen reißen sie in der folgenden Nacht aus dem Schlaf, die sie auch tagsüber nicht mehr loslassen. Doch Grübeln bringt sie nicht weiter, Handeln ist angesagt. Mit dem Vorwand, sich eine Tasse Tee zu holen, betritt sie das Schwesternzimmer. Dabei fallen ihr ganz zufällig, oder auch nicht zufällig ein Handy und ein Stapel Patientenakten in die Hände. Schnell lässt sie diese unter ihrem Pullover verschwinden. Unter den für sie skurrilen Aufzeichnungen über Untersuchungen findet sie auch ihre eigenen. Damit fügt sich ein Puzzleteil zum anderen.
Was jetzt? Hilfe! Sie braucht Hilfe, dringend. Also postet sie ein Video, in dem sie erzählt, dass - sie und andere - Opfer von illegalen Menschen-Experimenten sind und unbedingt Hilfe benötigen. Doch es kommen nur Reaktionen wie: „Die will ja nur Aufmerksamkeit!“, „Geh Bitte“, „Was ist das denn für eine kranke Nummer.“ Nur ein Kommentar löst etwas in ihr aus. Eine Frau erzählt, dass ihr Ähnliches passiert sei. Nur, das kann doch nicht stimmen, die ist bestimmt verrückt. Aber was, wenn doch? Diese beiden Stimmen schreien auf Nele ein, aber welche davon sagt die Wahrheit, was soll sie glauben? Entmutigt und ohne Gegenwehr nimmt Nele an diesem Abend ihre Medikamente, die sie vergessen lassen und in einen tiefen ruhigen Schlaf versetzen.
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