Zwischen uns der Nachthimmel
„Was ist deine größte Angst?“ Schweigen. Er starrt in die Ferne. Ich bemühe mich zu erkennen, was seine Augen suchen, jedoch sehe ich nur Hochhäuser in der Dunkelheit leuchten. Langsam bereue ich meine Frage. Wir sind nur zwei Fremde. Zwei Individuen dich sich nachts auf einem Dach treffen. Er muss mir nicht antworten und doch will ich es. Als er die Stille durchbricht, zucke ich leicht zusammen. „Von mir selbst enttäuscht zu werden.“ Seine Stimme ist so leise wie ein Flüstern und doch verstehe ich sie deutlich. Ich nicke, obwohl er es nicht sieht. Er räuspert sich.
„Gut. Nächste Frage. Was würdest du ändern wollen in deinem Leben?“ Bei dieser Frage muss ich laut auflachen. Ich spüre seinen fragenden Blick auf mir.
„Alles. Ich würde alles ändern.“, sage ich und kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Es ist so traurig, dass es schon wieder lustig ist. „Nichts Gutes gibt es in meinem Leben. Keine liebevolle Familie, kein Freund und kein Geld. Tja, so sieht es aus.“ Er setzt zum Sprechen an. „Spar dir dein Mitleid. Ich will es nicht hören.“, komme ich ihm zuvor. Oft genug wurde ich von anderen bemitleidet. Ich halte es nicht mehr aus mich verletzbar zu machen. Er runzelt die Stirn.
„Ich bemitleide dich nicht. Ich bewundere dich. Noch nie habe ich ein Mädchen wie dich getroffen.“ Seine Worte würden mein Herz berühren, wenn es noch richtig funktionieren würde. Ich lache verlegen. „Tja, so jemanden wie dich trifft man auch nicht alle Tage“, gebe ich zurück. Plötzlich legt er sich auf den Rücken und starrt in den Himmel. “Schon müde von unserem Spiel?“, frage ich spöttisch. Er verschränkt die Hände auf dem Bauch. “Von mir aus können wir die ganze Nacht so weiter machen“, sagt er. Ich lege mich neben ihn. Der Himmel über uns ist bewölkt und lässt keine Sicht auf die Sterne zu. Ich blicke zu ihm. “Was siehst du an?“ Er dreht seinem Kopf zu mir. Unsere Blicke treffen sich und mein kaputtes Herz pocht wild. In diesem Augenblick gibt es nur uns. Als ob eine Blase uns umhüllt. In seinen Augen liegt ein schelmischer Funken. „Vielleicht schaue gar nicht den Himmel an, wenn ich etwas viel Spannenderes ganz nahe bei mir habe.“ Schnell wende ich den Blick ab und starre nach oben. Seine Worte bringen mich durcheinander.
Wir sind nur zwei Fremde, die im Schutz der Nacht ihre Geheimnisse austauschen. Doch jetzt fühlt sich das hier tiefer an. Das ist nicht gut. Schnell setzte ich mich auf. Er wirkt überrumpelt, was ich verstehen kann, doch die Nacht muss hier enden. So ist es besser für uns. Vor allem für mich. Er setzte sich ebenfalls auf. „Wohin willst du?“
Ich sehe ihn bewusst nicht an. „Zurück in die Realität. Der Abend war schön, doch jetzt ist es Zeit zurückzukehren“, flüstere ich und will gehen, doch er hält mich am Arm fest. „Geh noch nicht, bitte.“ Ich würde so gerne nachgeben. Ich schüttele den Kopf. “Es geht nicht.“ Mit diesem Worten verschwinde ich. Lasse das Dach zurück. Meine geteilten Geheimnisse und den Fremden, den ich nie wieder sehen werde.
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