Brigittevon Simon Eminger
Brigitte
Wie ein Geier sein Aas umkreist du mich. Die vielen Augen, das dumpfe Surren, du machst mir Angst. Denke ich. Denn wie sich Angst anfühlt, weiß ich gerade nicht. Ich habe es nur mal gesehen. Ich komme mir tot vor. Denke ich. Denn wie sich der Tod anfühlt, weiß ich gerade nicht. Ich habe davon nur mal gehört.
Ist es Angst, ist es Tod, ist es Angst vor dem Tod, die ich da gerade erlebe? Kann ein Konzept, von dem man nichts weiß, ein Gefühl auslösen, das man nicht spürt? Kann ein Erlebnis, das nicht stattfindet, einen Schmerz auslösen, den man nicht benennen kann? Kann ein Zustand, der Nicht ist, mein Sein vernichten? Wie geht das? Ich begreife es nicht. Nicht materiell begreife ich es nicht, geistig, gedanklich, meine ich. Ich mein, es ist trotz dieser Unmöglichkeit da. Wo, da? Im Herzen, metaphorisch, im Gehirn, biologisch?
Im Gehirn biologisch, im Herzen metaphorisch. Ist Liebe Angst? Angst der Tod? Der Tod Liebe? Liebe Tod? Weiß ich nicht. Erlebe ich nicht. Fühle ich nicht. Ich liege. Ich liege am Totenbett meiner Seele, meines Herzens und meiner Gefühle. Umkreist von dir, mit deinen vielen Augen und deinem dumpfen Summen. Die Gedanken, sie fliegen um mich herum. Ich bin dir dafür dankbar. Dein Summen dämpft das Dröhnen der Leere, das schafft Raum zum Denken. Deine Augen geben mir das Gefühl, gesehen zu sein. Wertgeschätzt und beobachtet. Frei und unter Druck.
In Wirklichkeit bin ich wie du. Du bist frei, du tust, was du brauchst. Du surrst, ich starre. Du bist unter Druck, du fliehst. Du rufst, ich falle. Je früher du weg bist, umso mehr Zeit habe ich, mein Fallen aufzuhalten. Aber ich halte an dir fest. Noch greife ich nicht nach der Befreiung, der Befreiung von der Freiheit. Ich bin gar nicht fähig dazu, noch nicht. Noch bin ich beschäftigt. Ich verfolge deine Augen, ich lausche deinem Summen. Das Summen, es erregt in mir absolute Starre, die mir erlaubt, die Zuneigung, den Tod, noch ein bisschen zu überdenken.
Ein bisschen billig, ich weiß, den Tod mit der Liebe zu vergleichen. Ein bisschen banal, das Ende mit dessen Leben. Doch für Stichhaltigeres habe ich nicht Zeit. Die Zeit, sie läuft, und viel Zeit zum Weitergehen verbleibt mir nicht. Du bleibst, aber ich muss langsam.
Langsam und angespannt, erlebe ich zu dir eine letzte Nähe, die ich so bisher noch nicht erlebt habe. Ich spüre die Luft, die dein dumpfes Summen bewegt. Ich erleide zu dir eine große Ferne, und dass ich sie erleide, ist erstaunlich. Vor kurzem noch war sie nicht da. Ich hätte nichts gefühlt. Jetzt aber fühle ich nicht nichts, jetzt fühle ich sie, die Leere. Und mittendrin, da fühle ich dich. In meiner Hand. In der linken, recht in der Mitte. Wie ein Punkt, der sich streckt und zu einer Fläche wächst, bist du. In meiner Hand. Eine Fläche, die spürbar dreidimensional ist: Zartes Leder, weiche Schuppen, feines Haar. Die Zeit hältst du an.
Es klatscht.
Langsam bewege ich die Hand wieder weg, doch du bleibst dran. Erbärmlich siehst du aus, ich werfe dich weg. Wasche mir die Hand und schließe das Fenster, dass nicht noch zehn deiner Sorte zu mir kommen, zu bleiben für einen Tag, zehn solcher mit ähnlich dumpfem Summen und so unglaublich vielen Augen, wie das bei Fliegen halt so ist.
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